Møbelhaus-Phøbie: Ein Nachmittag in der Hølle

Mika_TuermchenIch hasse Möbelhäuser. Ich hasse sie. Abgrundtief. Und wähle diese Worte bewusst. Habe sie schon gehasst, bevor ich Vater wurde. Kann nicht verstehen, wie man seinen Samstag freiwillig an solchen Orten des Grauens verbringen kann. Keine Fenster, es riecht abscheulich und man muss komplett durchgehen, wenn man erst mal drin ist. Sie nehmen einem Licht. Entscheidungsfreiraum. Und vor der Kasse kommt noch die Demütigung mit dem ganzen Tüddelkram, den keiner braucht.

Um dieses Ambiente zu goutieren, bin ich vielleicht doch zu sehr Mann. Zum Glück haben meine Frau und ich da eine klare Trennung. Es gibt gewissermaßen Ressorts, bei denen der/die andere nichts zu melden hat – wie in einem Unternehmen. Von daher komme ich nur äußerst selten in die Verlegenheit, überhaupt ein Möbelhaus betreten zu müssen.

Doch an einem Wochenende im Frühsommer 2015 hatte mich wohl meine Willenskraft verlassen. Meine Frau fragte mich, ob ich nicht mit dem Sohnemann und ihr mitkommen wolle zu dieser Møbelkette mit den vier Buchstaben. Sie wissen schon. Warum ich bei der Frage nicht einfach schreiend davon gerannt bin, kann ich heute nicht mehr nachvollziehen. Seit diesem Nachmittag habe ich einen weiteren triftigen Grund für meine Møbelhaus-Phøbie.

Auf einmal war er weg. Einen Moment nicht hingeschaut. Und er war weg. Zweieinhalb ist ein Alter, in dem die Mobilität schier unendlich groß wird, während der Verstand noch winzig ist, wie eine Arbeitskollegin es mal ausgedrückt hat. Wollte ich mein Kind absichtlich verlieren, so würde ich vermutlich ein Möbelmarkt als Ort auswählen, es bietet einfach ideale Bedingungen: Sie sind riesig, verwinkelt, und mit allerlei hohem Zeugs vollgestellt. Beste Voraussetzungen also, um die Orientierung zu verlieren.

Wir durchsuchten panisch die Abteilung, öffneten jeden Schrank und jede Kiste, riefen seinen Namen, brüllten uns gegenseitig an, weil ja der andere nicht aufgepasst hatte. Aber er blieb verschwunden. Schlagartig durchzuckte mich ein Gedanke: Was, wenn er sich nicht verlaufen hätte, sondern entführt worden wäre? Was, wenn ihn jetzt gerade jemand schreiend in sein Auto lüde*, um auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden?

Während ich noch meiner Frau zurief, dass sie Sohnemann über die Lautsprecheranlage ausrufen lassen sollte, stürmte ich los und rannte Richtung Ausgang, wobei das Verb an einem Samstagnachmittag eher „rammte“ heißen sollte. Zwei komplette Abteilungen weiter – wie er das in den wenigen Sekunden geschafft hat, verstehe ich bis heute nicht – fand ich ihn.

Er stand einfach da. Wunderschön. Schaute ein wenig verlegen, still, zwei Finger im Mund. Hatte wohl auch gemerkt, dass etwas nicht OK ist, weil weder Mama noch Papa zu sehen waren. Ich ging vor ihm auf die Knie, umarmte ihn so fest es seine fragile Statur erlaubt und ging zurück zu meiner Frau. Sie weinte länger, bei mir machte sich schnell die Erleichterung bemerkbar. Ich weinte später.

Wir haben uns am Tag geschworen, dass das nie wieder passieren solle. Aber das ist Quatsch. Es kann jederzeit wieder passieren, ob mit oder ohne Möbelhaus. So ist das Leben…


*Das Erwachsene mit schreienden, strampelnden Kleinkindern unter dem Arm ein Geschäft verlassen, ist etwas völlig alltägliches. In 99,9999999% der Fälle sind es die eigenen Eltern. Deswegen würde es im schlimmsten Fall auch kaum auffallen.

Kindermund tut Wahrheit kund – oder: Der dritte Kroin-Zyklus

Mika_schlafend_entspanntSohnemann ist im Prinzip ein pflegeleichtes Kind. Das einzige Thema, bei dem er ein bisschen schwierig ist: Alleine einschlafen. Das war von Anfang an nicht seine Spezialdisziplin. Jetzt, da er drei ist, klappt es an den meisten Abenden. Doch bis etwa zweieinhalb konnte oder wollte er nur einschlafen, wenn jemand neben ihm saß und seine Hand hielt.

Bei uns ging das meistens so: Es wurde noch ein Bilderbuch gelesen, dann kamen zwei bis drei Runden „La Le Lu“, schließlich noch einen Schluck Wasser – und dann war Mika bereit für die Nachtruhe. Zuallerletzt sagte er „Hand!“, dann umklammerte er meinen Daumen und schaute fortan die fluoreszierenden Sterne an Decke und Wand an.

Vorher wurden allerdings die Nachttischlampe aus und dann „die Kroin“ angemacht. Die Kroin ist eine blaue Schildkröte, die über bewegliche Lampen durch ein Prisma eine Wellenbewegung an Wand und Decke projiziert. Dazu gibt es wahlweise Meeresrauschen oder eine beruhigende Melodie auf der Tonspur. Am Anfang konnte Mika das Wort Kröte noch nicht aussprechen, stattdessen sagte er Kroin – und wurde somit auch Namensgeber einer völlig neuen Zeiteinheit, dem sogenannten Kroin-Zyklus.

Ein Kroin-Zyklus besteht aus zwanzig Minuten, denn nach dieser Zeit geht das Kroin-Wellenlicht automatisch aus. Meine Frau und ich bemaßen somit die Einschlafzeit unseres Sohnes fortan in Kroin-Zyklen. Schlief er innerhalb des ersten Zyklus ein, war das ein Erfolg. Inmitten des zweiten Zyklus: akzeptabel. Mehr als zwei Kroin-Zyklen: Pffffffft. Da er ja immer einen Daumen mit seiner Hand umklammerte, fing man gegen Ende des ersten Kroin-Zyklus vorsichtig an zu testen, ob man den Daumen herausziehen konnte. Und obwohl die Äugelein schon lange zu waren, konnte es immer vorkommen, dass seine Hand nochmal energisch Zugriff und ihr gottgegebenes Daumenrecht einforderte.

Eines Abends, mit etwa zwei Jahren, als sich das Einschlafen besonders langwierig gestaltete (wir schon weit im dritten Zyklus) verlor ich die Geduld, weil ich dringend noch einige berufliche E-Mails raushauen wollte. Ich testete also wie immer, ob ich den Daumen wegziehen konnte. Mikas Augen gingen ein kleines Stück weit auf und es entspann sich folgender leereicher Dialog:

Vater: Mika, du musst jetzt einschlafen!
Sohn: Kann nicht.
Vater: Aber Papa muss noch was arbeiten.
Sohn, schläfrig: Arbeiten morgen. Bisschen hier bleiben.
Ich blieb.

Die Top 3 der sonstigen Einschlaf-Dialoge

Vater: Schläfst du heute alleine ein?
Sohn: Kann ich nicht. Ich bin noch klein.
Vater: Wann wirst du denn groß?
Sohn: Nächsten Dienstag.


Vater: Du musst jetzt schlafen.
Sohn: Ich kann nicht schlafen. Schlafen ist anstrengend.


Vater: Du musst jetzt schlafen.
Sohn: Ich kann leider nicht schlafen. Tut mir leid, Papa. Die Augen gehen einfach immer wieder auf.

Drecksbude!

Mika_SpinatIn meinem Elternhaus war´s immer blitzblanksauber. Ich glaube, meine Mutter hat es als Teil ihrer Hausfrauenehre aufgefasst, mindestens einmal am Tag feucht durchzuwischen. Ich bin also gewissermaßen mit hohen Hygienestandards aufgewachsen. Meine liebe Frau nimmt´s da nicht ganz so genau, sie pflegt einen etwas entspannteren Umgang mit Krümeln und dreckigem Geschirr. Ich musste mich also schon einmal umgewöhnen, als wir zusammengezogen sind. Doch konnte mich das in keiner Weise darauf vorbereiten, wie viel Dreck so ein Kind verursachen kann – und das buchstäblich in Sekundenbruchteilen.

Ich bin zum Beispiel zu der Überzeugung gelangt, dass Sohnemann seine Brötchen gar nicht isst, sondern eine viel sophistizierte Methode anwendet: Wenn ich Menge und Streuradius der Krümel richtig deute, scheint er die Schrippen in die Luft zu schleudern und mit einem Laserstrahl in Millionen Einzelteile zu zerbröseln. Wenn diese dann wieder von der Schwerkraft angezogen werden, schnappt er mit dem Mund alles auf, was in nächster Nähe vorbeifliegt. Alles andere wird fortan Teil der ihn umgebenden Szenerie.

Übrigens auch im Auto. Gegen die Rückbank unseres Nissans ist der Lieferwagen vom Bäcker um die Ecke ein hochsteriler Reinraum.

Des Weiteren war es eine furchtbar blöde Idee, beim unserem Einzug die Wände hoch-weiß streichen zu lassen. Es ist ja gar nicht so, dass Sohnemann die Wände aktiv anmalt (die Phase kommt vermutlich noch) – eher ist es ein wilder Mix aus verschiedenfarbigen Streifen, die entstehen, während er mit Schuhen, Spielzeugautos, Musikinstrumenten, seinem Mund, Bauklötzen, den von Tomatensauce beschmierten Händen, Lollys und der oben genannten Laserkanone daran vorbeischrappt.

Vielleicht bin ich ja einfach ein wenig überempfindlich. Ich fange zwischendurch immer an, mit dem angefeuchteten Finger die Krümel einzeln vom Boden aufzupicken, wie ein blindes Huhn. Total ineffizient und vermutlich ein bisschen eklig, so von außen betrachtet. Aber ich kann´s nicht lassen. Habe jetzt auf Amazon einen Handstaubsauger bestellt, nachdem der alte schon vor einem halben Jahr den Geist aufgegeben hat. Er hat sechs Wochen Lieferzeit.

Bis dahin werde ich weiterpicken.

Von Freuden und Tränen

Freuden_TraenenIch habe ein bisschen nah am Wasser gebaut für einen echten deutschen Mann, heule oft und gehe dafür auch nicht in den Keller. Anlässe gibt es ja genug, meistens Filme oder Musik. Gerade habe ich „Honig im Kopf“ gesehen, da musste ich weinen am Ende, als der von Dieter Hallervorden gespielte Opa Amandus an Alzheimer stirbt. Meistes kommen mir jedoch in den schönen Momenten die Tränen, zum Beispiel beim Kanon in D-Dur von Johann Pachelbel – aber höchstens jedes dritte Mal.

Seit ich Vater bin, weine ich noch mehr. Es gibt so viele Momente, die ans Herz gehen, sehr unmittelbar und stärker als vieles, was ich zuvor kannte. Das erste Mal erwischte es mich in einem völlig unpassenden Moment auf der Arbeit. Ich saß – gottseidank allein – in meinem Büro, als meine Frau mir via WhatsApp ein Ultraschallbild schickte, so etwa in der 13. Woche. Auf früheren Bildern ist ehrlich gesagt nicht so viel zu erkennen. Ich habe als Junge ab und an in einem nahe gelegenen Weiher Kaulquappen gefangen. Das geht exakt in die gleiche Richtung. Nach ein paar Wochen hat es dann was von einem Gummibärchen, nachdem es ein paar Tage in Wasser eingelegt war. Doch nun war es klar erkennbar: mein Kind.

Es sah aus, wie das, was Fox Mulder in den X-Akten in etwa jeder siebten Folge bei ganz viel Cryo-Nebel und Gegenlicht für etwa zwei Sekunden durch einen Türspalt erblicken konnte: Ein süßes kleines Alien-Baby. In dem Moment überkam es mich. Ich weinte und weinte und weinte. Betete, dass nicht ausgerechnet jetzt jemand die Tür öffnen würde, um meinen Nimbus als smarte Nachwuchsführungskraft für immer zu zerstören. Irgendwann versiegte der Strom und ich antworte meiner Frau, so wie man es tut, wenn man gerade Matsche im Hirn hat. Vermutlich war es das Daumen-Hoch-Icon. Und ein Herz.

Ein anderes Mal, etwa um dieselbe Zeit erwischte es mich spät abends, als meine Frau und ich zu Bett gingen. Ein paar Tage zuvor hatte ich aus einem Impuls heraus ein Stofftier erstanden, so ein Schnüffeltier, bei dem der Kopf halbwegs massiv ist, während der Körper praktisch nur aus dünnem Stoff besteht. Es war ein Bärchen und wir hatten ihn Gomez Pommes getauft, weil Mario Gómez in den Monaten zuvor bei der Fußball-Europameisterschaft 2012 so viele schöne Tore gemacht hatte. Wo die Pommes herkamen, weiß ich heute nicht mehr, aber ich erinnere mich, dass meine Frau in der Schwangerschaft phasenweise süchtig nach Kohlenhydraten war. So muss es gewesen sein.

Auf jeden Fall legte sie Gomez an jenem Abend spontan zwischen uns auf das Kopfkissen. Und auf einmal schossen mir wieder Sturzbäche an Tränen aus den Augen. In dem Moment hatte ich wohl zum ersten Mal verinnerlicht, dass einige Monate später ein echtes Würmchen zwischen uns liegen würde. Ich erinnere mich, dass meine Frau mich – auf sehr liebevolle Weise – ein wenig ausgelacht hat. Dann haben wir gekuschelt.

Warte mal, bis er laufen kann – oder: Fronkreisch, Fronkreisch

Mika_turntEs gibt da eine Sache am Papa-sein, die ich bedenklich bis ausnehmend ärgerlich finde. Es scheint unter manchen Männern das Vorurteil zu herrschen, dass man(n) mit Kindern erst etwas anfangen kann, wenn sie „etwas können“. Jedenfalls bekommt man das regelmäßig untergeschoben. Da fallen dann Sätze wie: „Warte mal, bis er drei oder vier ist, dann kannst du ihm das Fahrradfahren beibringen.“

Das mag ja richtig sein, aber zwischen den Zeilen schwingt da bisweilen etwas mit, was für mich das Folgende zum Ausdruck bringt: „Du als Vater bis erst mal nicht so wichtig.“ Doch nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Natürlich ist eine Mutter, gerade in den ersten Lebensmonaten, der wichtigste Bezugspunkt. Sie hat auch neun Monate Vorsprung an Bindung. Aber das heißt doch nicht, dass der Vater deswegen unwichtig ist.

Fakt ist natürlich: So ein Neugeborenes tut erst mal nicht viel außer trinken, schreien, pupsen, schlafen, gelegentlich ein Bäuerchen machen und zwischendurch ein bisschen in der Gegend rumgucken. Wenn man nicht genau hinguckt. Das heißt doch aber nicht, dass sie nichts mitbekommen.

Denn es passiert so viel mehr. Es passiert in den Augen, die sich zu- und abwenden. Es passiert in den Lippen, die sich kräuseln und öffnen und wieder schließen. Es passiert in den kleinen Fingerchen, die tasten und fühlen, halten und wieder loslassen. Hier sind Töne, da ist ein Duft, und die Wärme, wenn man auf der Brust liegt von diesen großen Mama- und Papa-Menschen.

Fakt ist natürlich auch: An so einem Teil ist keine Bedienungsanleitung dran. Das mit dem essen, pupsen und schlafen ist relativ einfach zu verstehen. Aber was ist mit der Zeit dazwischen?

Im Grunde ist man wie die Ratte im Käfig, die darauf wartet, dass die Person mit dem Kittel einem ein Leckerchen gibt, wenn man zufällig was richtig gemacht hat.

Da gilt es zu improvisieren – oder, auf gut Deutsch – sich zum Affen zu machen. Für mich (und sicherlich auch für meine Frau) waren die ersten Monate ein einziges großes Experiment, Versuch und Irrtum bis zum Abwinken. Im Grunde ist man ein bisschen wie die Ratte im Käfig, die darauf wartet, dass die Person mit dem Kittel einem ein Leckerchen gibt, wenn man zufällig was richtig gemacht hat. Und dann macht man eben mehr davon.

Ich erinnere mich, dass ich um Mikas fünften Lebensmonat mal drei Wochen ausschließlich mit einem gefakten französischen Akzent mit ihm gesprochen habe (à la „Fronkreisch, Fronkreisch“ von den Bläck Fööss). Einfach, weil der Kleine sich jedes Mal scheckig gelacht hat. Etwa zur selben Zeit hat meine Frau mindestens fünfzig Mal am Tag die Frage „Wo ist der dicke Bär?“ wiederholt, wobei das Wort Bär eher wie „Böar“ ausgesprochen und sehr lang gezogen werden musste (Wo ist der dicke Böööääääär?) – sonst wirkte es nicht.

Und irgendwann war´s dann vorbei. Hat nicht mehr gewirkt. Dann probiert man eben etwas Neues. Es kommt immer etwas Neues, so lange man nur weiter bereit ist, sich zum Affen zu machen und sehr genau hinzugucken, welches Feedback von dem kleinen Persönchen kommt.

Natürlich hätte ich warten können, bis ich ihm das Fahrradfahren beibringen kann. Ich hätte mich raushalten, die traditionelle Männerrolle annehmen können. Aber das wäre irrsinnig dumm und verschenkte Zeit gewesen. Die bekommt man nicht mehr zurück.

Digital dement im Kindergarten?

Ginge es nach dem Hirnforscher Manfred Spitzer, so müsste Sohnemann mittlerweile grenzdebil sein. Er spielt nämlich seit rund zwei Jahren regelmäßig mit Mamas und Papas Smartphone. Professor Spitzer möchte am liebsten alles Digitale von Kinderhänden fernhalten, weil der Gebrauch von Handys und Tablets sie dick und doof mache.

In den Augen des Psychiaters ist Mika prädestiniert für ein Leben als Schwachmat, Online-Junkie und bildungsferner Prolet ohne jegliche Zukunftsaussichten. Klingt vielleicht ein bisschen übertrieben, aber ein ähnlich düsteres Bild zeichnet der mehrfach promovierte Sachbuchautor in seinem Werk „Digitale Demenz“.

Ich halte das übrigens für riesengroßen Quatsch – und bin beileibe nicht alleine mit dieser Einschätzung. Die Zeitschrift „Gehirn & Geist“ kommt im Herbst 2015 in einem Übersichtsartikel zu dem Thema zu folgendem Schluss:

Weder ist belegt, dass die Nutzung digitaler Medien einsam macht, noch dass sie Strukturen im Gehirn schädigt.

Auch führende Leitmedien wie die Süddeutsche kommen in ihren Buchbesprechungen zu dem Schluss, dass das Buch einseitig und populistisch argumentiere.

Selbstverständlich würde es sich wohl nachteilig auswirken, wenn ein Kind oder Teenager den größten Teil der wachen Zeit mit entsprechenden Geräten verbringt – aber ich verstehe beileibe nicht, was eine Viertelstunde digitales Spielen am Tag für einen Schaden anrichten sollte. Wohlgemerkt: Wir spielen ja trotzdem mit Lego und der Eisenbahn, gehen in den Zoo, jagen uns gegenseitig durch die Bude und hüpfen auf dem Trampolin, bis der Arzt kommt.

Schon Paracelsus bemerkte: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“ Hier in Westfalen sagt man: „Wenn der Bauer nicht schwimmen kann, liegt´s an der Badehose.“ Und der Amerikaner weiß: “A Fool with a Tool is still a Fool” (Ein Narr mit einem Werkzeug ist immer noch ein Narr). Digitale Medien sind ein Werkzeug. Ob sie schaden oder nützen, liegt vorrangig am Nutzer, nicht am Ding an sich.

Es gibt zum Beispiel wunderschöne Handyspiele auf der Basis von Lego Duplo, meine Frau hat davon einige auf ihrem Handy. Ich persönlich bin auch ein großer Fan der Apps aus der Berliner Kinderspieleschmiede Fox & Sheep. Mika kann dort Bauarbeiter sein, einen Bauernhof bewirtschaften, oder Lieder nachsingen und sich selbst dabei aufnehmen. Während er das tut, schult er seine Augen-Hand-Koordination, seine Konzentration, die Merkfähigkeit und lernt etwas über physikalische Zusammenhänge – oder eben einfach singen. Wie das unserem Sohnemann schaden soll, bleibt mir schleierhaft.

Am meisten Playtime bekommt er übrigens, wenn wir ins Restaurant gehen. Es ist ein echter Segen, dass Mika sich zwischendurch einfach mal 15 Minuten still mit sich selbst beschäftigen kann, ohne das ganze Restaurant auseinanderzunehmen. Früher hätten die Kellner vielleicht ein Malbuch gebracht, doch auch dafür gibt es Apps auf dem Handy. Wir leben im Internetzeitalter – und so uns nicht der Strom ausgeht, wird das auch nicht mehr weggehen.

Von daher werde ich darauf hinwirken, dass mein Nachwuchs digital potent anstatt digitaler Analphabet wird.

Der erste Regen

Mika_WieseAuch wenn ich gerne ich bin (und auch mit keiner meiner früheren Versionen tauschen wollen würde…), beneide ich Sohnemann ab und zu. Er darf ungestraft beim Essen rumsauen, auf Befehl mit meiner Frau kuscheln und hat überhaupt ein ziemlich geiles Leben. Mir geht es aber um etwas anderes:

Je älter man wird, desto weniger oft kann man Dinge zum allerallerersten Mal machen. Natürlich gäbe es noch viele, viele Orte auf der Welt, die ich nicht gesehen, und ebenso viele Sachen, die ich noch nicht (aus)probiert habe. Mir wird also nicht langweilig werden.

Aber wenn man stramm auf die vierzig zugeht, hat man in der Regel doch schon sehr viele erste Male hinter sich gebracht. Ich spreche hier (auch) von ganz alltäglichen Dingen: Es gibt nur einen ersten Kuss, ein erstes Mal Star Wars gucken, eine erste Pizza.

Als erwachsener Mensch sagt man hier viel zu leicht „Been there, done that.“ Dadurch verliert das Leben einen Teil seiner Magie. In der Philosophie des Zen spricht man vom Anfängergeist, den es zu kultivieren gelte. Man solle versuchen, seine vorgefertigten Vorstellungen und Urteile zurückzustellen. Ähnliche Vorstellungen finden sich in der Bibel: „Wahrlich ich sage euch: Es sei denn, dass ihr umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“

Für Kinder ist die Welt noch voller Wunder. Im September 2014 Mika seinen allerersten warmen Sommerregen erleben dürfen. Es war ein heißer Spätsommertag und wir hatten ein Planschbecken auf die Terrasse gestellt, um Sohnemann etwas Abkühlung zu verschaffen. Zum späten Nachmittag hin zog es sich zu, eine halbe Stunde später setze ein wunderschöner kräftiger Regenschauer ein.

Wir hatten uns ins Wohnzimmer zurückgezogen, ermutigten Mika allerdings, wieder hinauszugehen. Etwas ängstlich, streckte er zunächst nur einen Fuß in den Regenstrom, um ihn unter vergnügtem Quieken schneller wieder zurückzuziehen. Dies wiederholte sich einige Male. Schließlich fasste er sich ein Herz und rannte hinaus auf die Terrasse. Er reckte den Kopf gen Himmel und breitete seine Arme aus, lies die Regentropfen auf seinen ganzen Körper niederprasseln. Nach einigen Sekunden kam er aufgeregt zurück ins Wohnzimmer und suchte vergeblich nach Worten, um dieses wahrlich außergewöhnliches Erlebnis zu beschreiben – nur um einige Sekunden später wieder nach draußen zu stürmen.

Ich überlege gerade, wie häufig ich mich seit der Kindheit noch so über Regen freuen konnte. Komme auf ungefähr dreimal. Eigentlich schade…

Meine Frau ist eine Heldin!

Mika_Emma_KrankenhausEigentlich geht´s auf „Unter der Liebe“ um meinen Sohn Mika, vor allem um unsere ersten drei gemeinsamen Jahre – aber das Leben dreht sich natürlich weiter.

Ich schreibe gerade aus dem St. Barbara Krankenhaus in meiner Heimatstadt. Vor rund 48 Stunden ist unser zweites Kind, Emma Elaria auf die Welt gekommen – oder vielmehr: Meine Frau hat sie auf die Welt gebracht, zusammen mit unserer phantastischen Hebamme. Alle sind wohlauf und glücklich!

Im Gegensatz zum Sohnemann, der durch einen geplanten Kaiserschnitt auf die Welt kam, weil er sich im Bauch nicht gedreht hatte, ist Emma auf natürlichem Wege gekommen, nach ungefähr 18 Stunden Wehen (oder mehreren Tagen, je nachdem, wie man rechnen möchte).

Die letzten acht Stunden haben wir gemeinsam im Kreißsaal verbracht. Zwischendurch stand das Ganze eine Zeit lang auf der Kippe, weil Emmas Köpfchen sehr ungünstig lag – aber die Hebamme hat einen erstklassigen Job gemacht und meine Frau vorzüglich bei ihrer schweren Aufgabe begleitet.

Man(n) hat eine kleine Nebenrolle in einem archaischen, auf gewisse Weise brutalen Schauspiel.

Ina_Emma_KrankenhausAls Mann war ich hauptsächlich stiller Begleiter. Ich habe meine Frau mit Wasser versorgt, ihre Hand gehalten, wenn sie es wollte – und ihr, vor allem in den letzten Stunden, im wahrsten Sinne des Wortes den Rücken gestärkt während der Presswehen. Aber wenn man ehrlich ist, kann man(n) nicht viel machen in dieser Situation. Man möchte helfen, mit anpacken, der Frau die Schmerzen nehmen – und ist doch im wahrsten Sinne des Wortes unfähig. Man(n) hat eine kleine Nebenrolle in einem archaischen, auf gewisse Weise brutalen Schauspiel.

Zwei Tage später bin ich noch immer sehr bewegt von dieser außergewöhnlichen Erfahrung. In mir brodelt eine Mixtur aus vielen extremen Gefühlen. Es mischen sich tiefe Dankbarkeit, unbändige Freude und Rührung über diese kleine neue Seele, die ab jetzt unser Leben und diese Welt bereichert. Ehrlich gesagt: Ich heule gefühlt einmal alle zwei Stunden, im Grunde jedes Mal, wenn Emma für ein paar Minuten die Augen öffnet und mich ansieht. Das ist OK.

Nico_Emma_GeburtAber in gewisser Hinsicht bin ich auch schockiert ob dieser Erfahrung im Kreißsaal. Ich frage mich ernsthaft, warum die Natur das so eingerichtet hat, wozu ein so grundlegender und evolutionär bedeutender Vorgang mit derart vielen Schmerzen (und auch Gefahren) verbunden sein muss. Die physische Notwendigkeit ist mir sonnenklar, eher hinterfrage ich das auf einer metaphysischen Ebene.

Und dann ist da noch etwas anderes, etwas grundsätzlich Neues: Ehrfurcht, Hochachtung. Eine tiefe Form der Bewunderung für die gewöhnliche und doch so außergewöhnliche Leistung meiner Frau – und damit auch ein Stück weit für jede Mutter.*

Nun ist es ja so, dass ich sie auch vorher geliebt habe, doch wir sind meist wie gute Freunde, flachsen viel und verbringen einfach gerne unsere Zeit gemeinsam. In unserem gemeinsamen Leben bin ich häufig die Person, die „im Rampenlicht“ steht. Ich bin derjenige, der schreibt und Vorträge hält, der beruflich in der Welt umherfliegt und „Sachen macht“. Meine Frau hingegen lebt ein normales, eher stilles Leben.

Und auf einmal wirst du Zeuge, wie diese Frau, die du so gut kennst und als normal betrachtest, so unglaublich stark ist. Wie sie etwas vollbringt, zu dem du nicht mal im Ansatz imstande bist. Wie sie kämpft und sich so völlig verausgabt, bis weit über die Grenzen dessen, was dir möglich scheint – und fünf Minuten, nachdem alles vorbei ist, schon wieder fröhlich plaudert und aussieht, wie das blühende Leben.

Das ist einfach nur: Wow! Meine Heldin…


*Menschen, die mir in Zukunft die Damenwelt als „das schwache Geschlecht“ verkaufen wollen, kriegen von mir vermutlich eine leichte Watschen. Als Denkzettel, aber mit Liebe… ;-)

Freunde fürs Leben

Mika_schlafendEs gibt diese Momente, da bringen Kinder dein Herz zum Zerspringen mit der Wucht ihrer ungefilterten Gefühle, ihrer Ehrlichkeit, ihrer grenzenlosen Liebe.

Eines Abends im Herbst 2015 lag ich wie so oft neben Sohnemann im Bett, nachdem ich ihm bereits eine Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen hatte. Das Licht war gelöscht, er umklammerte meinen Daumen mit einer Hand und ich beobachtete selig, wie er immer tiefer und gleichmäßiger atmete.

Ich dachte, er sei bereits eingeschlafen und wollte mich gerade vorsichtig aus dem Zimmer schleichen. Auf einmal drehte sich Mika zu mir, nahm meinen Kopf in seine kleinen Hände, zog mich ganz nah an sein Gesicht und flüsterte schläfrig:

„Ich bin dein Freund.“

Bäm!

Ein Kind ändert alles! Ja ne, is klar…

Nico_Mika_FruehstueckIch lese regelmäßig Zeitschriften wie GQ oder die an Männer gerichteten Ableger populärer Frauenmagazine, beispielsweise Gala Men. Zu den jährlich wiederkehrenden Themen dieser Publikationen gehören Berichte darüber, wie es angeblich sei, vom Mann zum Vater zu werden.

Meistens bestehen die Stücke aus den Schilderungen eines Mittdreißigers, der sich darüber auslässt, wie sich in jenem Moment, in welchem er erfuhr, dass er Vater wird, alles, wirklich alles geändert habe (spätestens bei der Geburt…). Vorbei, alles vorbei! Die Sauftouren mit den Freunden, die One-Night-Stands mit all den Frauen, die nicht die Mutter des Kindes sind, die durchgezockten Nächte vor der Playstation mit dem besten Kumpel, die Super-Spontan-Trips nach Budapest und…und…und.

Ich selbst bin vor gut dreieinhalb Jahren Vater geworden, nachdem ich fünf Jahren geheiratet hatte. Und ja: Es hat sich einiges geändert. Vieles sogar. Der Fokus meiner Aufmerksamkeit hat sich umfassend verschoben, zumindest in jener Zeit, in der ich nicht arbeite. Ich habe deutlich weniger Zeit an sich und Schlaf im Besonderen. Die Rollen als Mann und Frau werden zumindest übergangsweise fast vollständig überlagert von den Rollen als Vater und Mutter.

Hat das wirklich alles verändert?

Es mag im Bereich des Möglichen liegen, dass ich einfach ein stinklangweiliges Leben führ(t)e. Ich arbeite gerne, mache halbwegs regelmäßig Sport, gehe ab und an auf Metal-Konzerte und sitze bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit einem Cappuccino im Café zum Lesen und Schreiben. Ab und zu gehe ich feiern, und wenn, dann meistens bis zum Abwinken.

Und jetzt kommt eben dazu (bzw. muss von den vorigen Dingen abgezogen werden): Ich verbringe so viel Zeit wie möglich mit meinem Sohn. Versuche, mein berufliches Reisepensum einzuschränken, sage viele Einladungen ab und stimme mich allgemein besser mit meiner Frau über unseren Kalender ab. Aber ehrlich gesagt: No big deal.

Das führt mich wieder zurück zu den oben genannten Zeitschriften. Meine Lieblingsserie ist Californication. In dieser Farce vögelt sich der von David Duchovny dargestellte Schriftsteller Hank Moody, ein dauerbetrunkener, kettenrauchender, sarkastischer Romancier zu cooler Musik durch die silikonoptimierte Damenwelt von Los Angeles – und das alles, obwohl er mit Karen, der Liebe seines Lebens, eine Tochter im Teenageralter hat.

Höchst unterhaltsam. Ein bisschen wie Sex and the City, nur eben für Männer. Es ist eine irrsinnig freudvolle Phantasie, weil vermutlich jeder Mann auf diesem Planeten sich zumindest ab und zu wünscht, so wie Hank leben zu können. Ohne Grenzen. Ohne Konsequenzen. Ohne Gewissensbisse.

Mir scheint, jene Männer, die davon schreiben, wie sich alles ändert, wollen mich glauben machen, sie hätten vor der Geburt des Kindes eine Art Moodyesques Leben geführt, welches sie dann abrupt aufgeben mussten. Aber wahrscheinlich ist das der Zweck dieser Magazine. Sie zeigen uns Klischees, Phantasien, Traumbilder – und halten sie so lebendig. Ein normales Leben haben wir ja eh schon.

Also, liebe Noch-nicht-Väter da draußen: Wenn Ihr Schiss habt, Papa zu werden, weil sich dann alles ändern könnte: Habt keine Angst. Es passiert nicht. Man wird (noch) ein bisschen erwachsener. Mehr nicht. Wenn Ihr doch das Gefühl habt, es ändere sich alles, denkt daran:

Es ist oft schwerer, sich von einem Traum zu verabschieden, als von einer Wirklichkeit.