Mit dem Kleinkind im Restaurant? Die bösen Blicke muss man aushalten

Mika RestaurantMeine Frau und ich haben im Grunde wenig gemeinsame Hobbys, sind überhaupt ziemlich unterschiedlich, auf eine gute Art. Wir versuchen nicht, ständig am anderen rumzuschrauben, sondern akzeptieren uns so, wie wir sind. Klappt natürlich nicht immer, aber ich denke, wir sind ganz gut unterwegs. Was uns jedoch ein heiliges Ritual ist: Wir gehen sehr regelmäßig auswärts essen, haben unsere Handvoll Lieblingsrestaurants, in die wir immer und immer wieder gehen. Dann sprechen wir, oder schweigen wir, lassen es uns gut gehen, genießen.

Als klar wurde, dass wir bald Eltern sein würden, haben wir beschlossen, mit dieser Tradition gerade nicht zu brechen, sondern Junior immer und überall mit hinzunehmen. In den ersten drei Monaten ist das eh kein Problem. Da liegen die Krümel meist friedlich in einer Tragschale. Wenn es doch mal laut wird, gibt es eigentlich nur die Auswahl zwischen „Ich habe Mordshunger“ oder, ein wenig später „Ich habe ein Bäuerchen quersitzen“. Das lässt sich in der Regel schnell beheben.

Komplizierter wird es, wenn die Kids schon sitzen können und alleine essen wollen, die Feinmotorik aber noch der eines juvenilen Dobermanns auf Speed ähnelt. Mit Mika konnte es passieren, dass der Bereich rund um unseren Tisch in einem Areal von mehreren Quadratmetern ausschaute, wie das schnuckelige norddeutsche Örtchen Wacken, nachdem die jährlichen 75.000 Besucher des berühmt-berüchtigten Heavy Metal-Festivals wieder abgezogen sind. Außerdem kann ein gut gelaunter Einjähriger auch einen ähnlichen Lautstärkepegel erreichen, wenn er denn nur will (Anmerkung: meistens wollen sie…). Was tun, sprach Zeus?

Mein Antwort lautet: Einfach machen, trotz allem. Meine feste Überzeugung: Das müssen die anderen Gäste aushalten. Beziehungsweise: Wir müssen eben die bösen Blicke aushalten. Deutschland ist in vielen Bereichen leider ein nicht eben kinderfreundliches Land. Geht man beispielsweise in Italien essen, ist es völlig normal, dass der Nachwuchs auch bis spätabends dabei ist und tut, was Kinder eben tun: Laufen, lärmen, plämpern, spielen, lachen. Und wieder von vorne.

Ich jedenfalls verspüre wenig Lust, durch meinen „Beitrag zur Sicherung unseres Rentensystems“ für ein Jahrzehnt auf ein geregeltes Sozialleben zugunsten des kinderlosen Teils der Bevölkerung zu verzichten. Das statistische Bundesamt hat ausgerechnet, dass die Aufzucht eines Kindes bis zum 18. Lebensjahr rund 130.000 Euro kostet – und das sind nur die sogenannten Konsumausgaben. Nicht eingerechnet sind die „Arbeitsstunden“, der Gehalts- und Rentenverlust, welcher durch die Kinderbetreuung entsteht – und schon gar nicht die Beträge, die der Nachwuchs später in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen wird, um die die Sozialleistungen für die Kinderlosen mitzufinanzieren. In diesem Sinne:

Liebe DINKs!* Wenn ihr euch beim Genuss eures Rucola-Salats durch meinen nicht ganz Knigge-konformen Sohnemann gestört fühlt: Es geht mir ehrlich gesagt am Arsch Gemüt vorbei. Lernt, mit dem Gebrüll und dem Dreck zu leben, ich schaffe auch jeden Tag. Das ist das Leben.

* Bevölkerungsgruppe “Double Income, No Kids”

Also das Allerschönste was Füße tun können ist: Tanzen

Mika_GitarreEs gibt ein interessantes Phänomen: Fragt man eine größere Gruppe Erwachsener, ob sie beispielsweise singen oder tanzen können, dann wird ein guter Teil dieser Menschen mit nein antworten. Bei Kindern (bis zum etwa siebten, achten Lebensjahr) ist das anders. Die überwiegende Mehrheit würde lauthals ja schreien und vermutlich auch gleich etwas zum Besten geben. Sohnemann ist ebenfalls ein großer Tänzer. Er beherrscht mittlerweile Breakdance, Flamenco, und ist außerdem ein beinharter Headbanger. Mit keiner seiner Darbietungen würde er beim Supertalent in den Recall kommen, aber darum geht es auch nicht. Er tut es einfach gerne – vermutlich, weil ich schon von Beginn an immer mit ihm im Arm geschwoft habe.

Ganz zu Anfang habe ich in nachts in meinem Armen gewiegt, wenn er nicht schlafen konnte und dazu „Don´t cry“ von Guns N´ Roses oder „Three little Birds“ von Bob Marley gesungen. Später haben wir dann Runde um Runde um unseren Esstisch gedreht, ganz gleich, ob zur Popmusik auf 1Live, den Kinderliedern der Giraffenaffen, oder zu „Ace of Spades“ von Motörhead – was eher meinem persönlichen Geschmack entspricht.*

Ich finde es wunderbar, wie Mika sich im Augenblick für jedwede Form von Musik begeistern kann. Wir waren schon mit ihm auf einem Punkkonzert und er hat Luftgitarre wie ein Weltmeister gespielt. Er liebt Kabellos, die mobile Unplugged-Band, welche regelmäßig auf unserem Wochenmarkt oder in der lokalen Shopping Mall Schlager und Oldies zum Besten gibt. Und auch die Indio-Bands, die in regelmäßigen abständigen in unserer Fußgängerzone „El cóndor pasa“ in Endlosschleife flöten, werden ausnahmslos von ihm mit einem Euro bedacht. Er ist da noch sehr eklektisch aufgestellt, obwohl ich insgeheim schon hoffe, dass aus ihm mal ein ordentlicher Rocker wird.

Eine unserer Tanzeinlagen hat sogar einen minimalen Grad an Berühmtheit erlangt. Ich habe durch meinen Beruf den hochtalentierten und durchweg sympathischen britischen Singer-Songwriter Jonathan Jeremiah kennengelernt, dessen Song „Gold Dust“ der geneigte Leser vielleicht durch Werbung für eDarling oder den Gedöns-Händler Rituals kennt. Im Spätsommer 2015 walzte ich mit Mika vorzugsweise zu den Klängen seines Songs „Smiling“ durch unser Wohnzimmer. Einmal zückte meine Frau ihr Handy und filmte uns. Nachdem ich Jonathan davon erzählt hatte, bat er mich, ihm den Clip zu schicken. Er postete ihn dann auf seinem Facebook-Profil und schrieb dazu: „It’s moments like these that make my career choice feel extremely worthwhile. XJJ“ Wenn Sie uns einmal zuschauen möchten, besuchen Sie bitte:

*Rock ´n´ Roll in Peace, Lemmy Kilmister. Am Tag, als ich dies aufschrieb, ist dieser einmalige Frontman gestorben.

Spielen, ohne die Regeln zu kennen

Mika_20Seit Neustem bin ich regelmäßig ein Flugzeug. Und eine Eisenbahn. Außerdem eine Schranke und ein Pinguin. Nicht, dass Sohnemann nicht auch gerne mit Spielzeugautos und ähnlichen Dingen spielt – aber am liebsten ist ihm gegenwärtig doch das imaginäre Spiel.

Seitdem das so ist, kann ich kaum mehr normal durch die Fußgängerzone unserer Stadt gehen. 90% der Zeit bin ich eine Dampflok. Stampfe vorwärts, die Arme angewinkelt und mache schscht…schscht…schscht. Hunderte Meter am Stück. An die verwunderten Blicke der Passanten habe ich mich gewöhnt, manche lächeln auch – aber naturgemäß erst, nachdem sie erkannt haben, dass ich ein Kind in Schlepptau habe. Die Leute, die das nicht kapieren, lächeln vermutlich mitleidig und fragen sich, ob sie die Männer mit den Hab-mich-lieb-Jacken rufen sollten.

Alles kein Problem. Etwas schwieriger finde ich, dass ich notgedrungen dauernd Spiele spiele, deren Regeln ich nicht kenne, weil sie, sofern es überhaupt welche gibt, von Sohnemann jeweils im Moment erfunden werden. Seit ein paar Tagen bin ich beispielweise regelmäßig ein Pinguin, der gefüttert werden muss – von einem Tiger. Allerdings mag dieser Pinguin nur Lachs, aber auf keinen Fall Thunfisch. Tiger-Sohnemann schmeißt mir also fleißig imaginäre Fischhäppchen zu und ich muss dann spontan entscheiden, ob es Thunfisch oder doch Lachs war. Wenn es Lachs war, habe ich mir zufrieden über den Bauch zu streicheln, wenn der Tiger aber Thunfisch dazwischen geschmuggelt hat, habe ich angewidert mit dem Kopf zu schütteln. In jenem Fall lacht er sich scheckig, weil Tiger-Mika den Pinguin-Papa ausgetrickst hat – schon wieder.

Ich habe vor ein paar Jahren mal einige Seminare im Bereich Improvisationstheater absolviert. Diese Erfahrung hilft mir ungemein mit diesem Teil des Umgangs mit Sohnemann. Für Impro-Schauspieler gelten ein paar übergreifende Regeln, die sich über die Jahre als sehr nützlich herausgestellt haben, wenn man ein Stück aufführen soll, was erst gerade im Moment, ohne Skript, entsteht:

Ein Leitgedanke lautet beispielsweise: Scheitern ist sexy! Das heißt, wer etwas verbockt, sich verhaspelt, aus der Rolle fällt, der bekommt von seinen Mitspielern und dem Publikum bisweilen einen tosenden Applaus. Alleine für diese Erfahrung sollte jeder Mensch aus meiner Sicht einmal einen solchen Kurs absolviert haben. Wer das deutsche Bildungssystem mit 13 Jahren Schule, fünf Jahren Studium und vier Jahren Promotion durchlaufen hat (wie in meinem Fall) – und daher arg darauf getrimmt ist, möglichst immer alles richtig zu machen – dem tut es sichtlich gut, „Liebe“ zu erhalten, gerade weil etwas nicht geklappt hat. Zusätzlich glaube ich, dass es eine tolle Übung ist für den Umgang mit kleinen Kindern. Mir jedenfalls kommt Erziehung an vielen Tage wie ein liebevolles „sich nach vorne Scheitern“ vor.

Eine weitere Impro-Regel lautet: Sag immer ja, nimm die Angebote an, die dir gegeben werden! Wenn zwei oder mehr Menschen eine Szene aufführen, ohne ein gemeinsames Skript zu haben, dann ist es notwendig, dass am Anfang jemand definiert, „wat Sache“ ist. Einer der Spieler muss also durch einen Eröffnungssequenz definieren, wo die Szene spielt, wer welche Rolle hat oder auch wie die verschiedenen Protagonisten zueinander stehen. Ohne diese Ausrichtung würden mit großer Wahrscheinlichkeit alle nebeneinanderher spielen, weil jeder „in seinem Film unterwegs“ wäre. Da Schlimmste, was ein weiterer Spieler an dieser Stelle machen kann, ist nein zu sagen und das Angebot umzudeuten („Nein, ich bin kein x, sondern ein y…“). Die Dynamik der gerade erst angelaufenen Szene wäre in dem Moment dahin, alle müssten bei null anfangen. Auch dieser Gedanke hilft mir sehr beim Umgang mit meinem Sohn. Wir beginnen zu spielen, er bestimmt die Regeln, teilt sie mir aber nicht (explizit) mit. Vor diesem Hintergrund habe ich es mir auch hier zur Gewohnheit gemacht, möglichst immer ja zu sagen – selbst, wenn ich damit vor anderen Menschen zum Affen mache.

Es gibt noch eine gute Handvoll weiterer Impro-Regeln, doch ich möchte an dieser Stelle nur noch auf eine eingehen, weil sie besonders kontraintuitiv anmutet: Sei langweilig (bzw. durchschnittlich)! Wenn Menschen zum ersten Mal einen Impro-Kurs machen, haben viele das Bedürfnis, besonders komisch sein zu wollen. Sie erfinden abstruse Szenenwechsel, außergewöhnliche Antworten auf gewöhnliche Fragen und überzeichnen ihre Rolle ganz allgemein in puncto Sprache und Verhalten. Den meisten Neulingen wird allerdings schnell das Folgende klar: Zum einen ist es sehr anstrengend, die ganze Zeit außergewöhnlich sein zu wollen (zumindest deutlich anstrengender, als normal zu sein); und zum anderen ist ein solcher Habitus zumeist auch spürbar weniger unterhaltsam, weil die Mitspieler wie auch die Zuschauer nur schwer folgen können. Die Komik des Impro entwickelt sich zum typischerweise aus ganz alltäglichen Szenen, simplen Gesten, kleinen Schrulligkeiten. Das Kleine ist das Komische – nicht das Laute. Wem der Vergleich helfen mag: Denken Sie an die Stücke Loriots, die meist nur aus etwas abseitigen Alltagsbeobachtungen bestehen – im Vergleich zu den lauten, überzeichneten Geschichten eines Mario Barth. Auch dieser Leitgedanke entspannt mich ganz wunderbar während des Spiels mit meinem Sohn. Ich muss mir keine spannenden Geschichten ausdenken. Es reicht völlig, wenn ich ein Lachs liebender, sprechender Pinguin bin, gerne auch mal 14 Tage am Stück. Dann lacht er sich scheckig über Papa.

Herz, was begehrst du mehr…