Was mein Sohn von Bruce Lee gelernt hat

mikaMein Vater war Lehrer. Er hat immer – wenn auch halb im Spaß – gesagt: Redundanz ist die Mutter der Pädagogik. Seit Sohnemann greifen, sitzen und krabbeln kann, weiß ich recht genau, was er damit gemeint hat.

Meine Frau hatte in einem Spielzeug-Tauschzirkel auf so einen gelben Schulbus ersteigert. Recht schnell hatte Sohnemann kapiert, dass man die Fahrertür öffnen und auch wieder schließen kann. Eine absolute Offenbarung. Dieses Prinzip muss natürlich erstmal verinnerlicht werden. Also übte er: Tür auf, Tür zu. Große Freude. Tür auf, Tür zu. Große Freude. Tür auf, Tür zu. Große Freude. Eine geschlagene Viertelstunde ging das so. Ich bin sicher, Mister Miyagi aus dem Film Karate Kid wäre sehr stolz auf ihn gewesen. Sohnemann hat es zu wahrer Meisterschaft im Türöffnen und -schließen gebracht.

Und auch ich war sehr stolz auf ihn. Während meiner Doktorandenzeit habe ich einige Jahre Jeet Kune Do trainiert, eine von Bruce Lee begründete Kampfkunst. Von ihm stammt auch das Zitat:

Ich fürchte nicht den Mann, der 10.000 Tritte einmal trainiert hat. Ich fürchte den, der einen Tritt 10.000 Mal trainiert hat.

Jetzt, mit etwas über drei Jahren, ist es im Grunde immer noch so. Ich habe in den letzten Wochen geschlagene 25 Mal den Film Cars 2 geguckt, unterbrochen nur durch kurze Intermezzi von Cars 1, sowie Planes 1 & 2. Die Nervtöter bei Disney wissen wirklich, was sie tun. Allerdings sollte ich mich nicht beschweren, denn meine Frau ist da vermutlich mittlerweile im dreistelligen Bereich angelangt. Und wer weiß, wofür es gut ist?

Warte mal, bis er laufen kann – oder: Fronkreisch, Fronkreisch

Mika_turntEs gibt da eine Sache am Papa-sein, die ich bedenklich bis ausnehmend ärgerlich finde. Es scheint unter manchen Männern das Vorurteil zu herrschen, dass man(n) mit Kindern erst etwas anfangen kann, wenn sie „etwas können“. Jedenfalls bekommt man das regelmäßig untergeschoben. Da fallen dann Sätze wie: „Warte mal, bis er drei oder vier ist, dann kannst du ihm das Fahrradfahren beibringen.“

Das mag ja richtig sein, aber zwischen den Zeilen schwingt da bisweilen etwas mit, was für mich das Folgende zum Ausdruck bringt: „Du als Vater bis erst mal nicht so wichtig.“ Doch nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Natürlich ist eine Mutter, gerade in den ersten Lebensmonaten, der wichtigste Bezugspunkt. Sie hat auch neun Monate Vorsprung an Bindung. Aber das heißt doch nicht, dass der Vater deswegen unwichtig ist.

Fakt ist natürlich: So ein Neugeborenes tut erst mal nicht viel außer trinken, schreien, pupsen, schlafen, gelegentlich ein Bäuerchen machen und zwischendurch ein bisschen in der Gegend rumgucken. Wenn man nicht genau hinguckt. Das heißt doch aber nicht, dass sie nichts mitbekommen.

Denn es passiert so viel mehr. Es passiert in den Augen, die sich zu- und abwenden. Es passiert in den Lippen, die sich kräuseln und öffnen und wieder schließen. Es passiert in den kleinen Fingerchen, die tasten und fühlen, halten und wieder loslassen. Hier sind Töne, da ist ein Duft, und die Wärme, wenn man auf der Brust liegt von diesen großen Mama- und Papa-Menschen.

Fakt ist natürlich auch: An so einem Teil ist keine Bedienungsanleitung dran. Das mit dem essen, pupsen und schlafen ist relativ einfach zu verstehen. Aber was ist mit der Zeit dazwischen?

Im Grunde ist man wie die Ratte im Käfig, die darauf wartet, dass die Person mit dem Kittel einem ein Leckerchen gibt, wenn man zufällig was richtig gemacht hat.

Da gilt es zu improvisieren – oder, auf gut Deutsch – sich zum Affen zu machen. Für mich (und sicherlich auch für meine Frau) waren die ersten Monate ein einziges großes Experiment, Versuch und Irrtum bis zum Abwinken. Im Grunde ist man ein bisschen wie die Ratte im Käfig, die darauf wartet, dass die Person mit dem Kittel einem ein Leckerchen gibt, wenn man zufällig was richtig gemacht hat. Und dann macht man eben mehr davon.

Ich erinnere mich, dass ich um Mikas fünften Lebensmonat mal drei Wochen ausschließlich mit einem gefakten französischen Akzent mit ihm gesprochen habe (à la „Fronkreisch, Fronkreisch“ von den Bläck Fööss). Einfach, weil der Kleine sich jedes Mal scheckig gelacht hat. Etwa zur selben Zeit hat meine Frau mindestens fünfzig Mal am Tag die Frage „Wo ist der dicke Bär?“ wiederholt, wobei das Wort Bär eher wie „Böar“ ausgesprochen und sehr lang gezogen werden musste (Wo ist der dicke Böööääääär?) – sonst wirkte es nicht.

Und irgendwann war´s dann vorbei. Hat nicht mehr gewirkt. Dann probiert man eben etwas Neues. Es kommt immer etwas Neues, so lange man nur weiter bereit ist, sich zum Affen zu machen und sehr genau hinzugucken, welches Feedback von dem kleinen Persönchen kommt.

Natürlich hätte ich warten können, bis ich ihm das Fahrradfahren beibringen kann. Ich hätte mich raushalten, die traditionelle Männerrolle annehmen können. Aber das wäre irrsinnig dumm und verschenkte Zeit gewesen. Die bekommt man nicht mehr zurück.

Digital dement im Kindergarten?

Ginge es nach dem Hirnforscher Manfred Spitzer, so müsste Sohnemann mittlerweile grenzdebil sein. Er spielt nämlich seit rund zwei Jahren regelmäßig mit Mamas und Papas Smartphone. Professor Spitzer möchte am liebsten alles Digitale von Kinderhänden fernhalten, weil der Gebrauch von Handys und Tablets sie dick und doof mache.

In den Augen des Psychiaters ist Mika prädestiniert für ein Leben als Schwachmat, Online-Junkie und bildungsferner Prolet ohne jegliche Zukunftsaussichten. Klingt vielleicht ein bisschen übertrieben, aber ein ähnlich düsteres Bild zeichnet der mehrfach promovierte Sachbuchautor in seinem Werk „Digitale Demenz“.

Ich halte das übrigens für riesengroßen Quatsch – und bin beileibe nicht alleine mit dieser Einschätzung. Die Zeitschrift „Gehirn & Geist“ kommt im Herbst 2015 in einem Übersichtsartikel zu dem Thema zu folgendem Schluss:

Weder ist belegt, dass die Nutzung digitaler Medien einsam macht, noch dass sie Strukturen im Gehirn schädigt.

Auch führende Leitmedien wie die Süddeutsche kommen in ihren Buchbesprechungen zu dem Schluss, dass das Buch einseitig und populistisch argumentiere.

Selbstverständlich würde es sich wohl nachteilig auswirken, wenn ein Kind oder Teenager den größten Teil der wachen Zeit mit entsprechenden Geräten verbringt – aber ich verstehe beileibe nicht, was eine Viertelstunde digitales Spielen am Tag für einen Schaden anrichten sollte. Wohlgemerkt: Wir spielen ja trotzdem mit Lego und der Eisenbahn, gehen in den Zoo, jagen uns gegenseitig durch die Bude und hüpfen auf dem Trampolin, bis der Arzt kommt.

Schon Paracelsus bemerkte: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“ Hier in Westfalen sagt man: „Wenn der Bauer nicht schwimmen kann, liegt´s an der Badehose.“ Und der Amerikaner weiß: “A Fool with a Tool is still a Fool” (Ein Narr mit einem Werkzeug ist immer noch ein Narr). Digitale Medien sind ein Werkzeug. Ob sie schaden oder nützen, liegt vorrangig am Nutzer, nicht am Ding an sich.

Es gibt zum Beispiel wunderschöne Handyspiele auf der Basis von Lego Duplo, meine Frau hat davon einige auf ihrem Handy. Ich persönlich bin auch ein großer Fan der Apps aus der Berliner Kinderspieleschmiede Fox & Sheep. Mika kann dort Bauarbeiter sein, einen Bauernhof bewirtschaften, oder Lieder nachsingen und sich selbst dabei aufnehmen. Während er das tut, schult er seine Augen-Hand-Koordination, seine Konzentration, die Merkfähigkeit und lernt etwas über physikalische Zusammenhänge – oder eben einfach singen. Wie das unserem Sohnemann schaden soll, bleibt mir schleierhaft.

Am meisten Playtime bekommt er übrigens, wenn wir ins Restaurant gehen. Es ist ein echter Segen, dass Mika sich zwischendurch einfach mal 15 Minuten still mit sich selbst beschäftigen kann, ohne das ganze Restaurant auseinanderzunehmen. Früher hätten die Kellner vielleicht ein Malbuch gebracht, doch auch dafür gibt es Apps auf dem Handy. Wir leben im Internetzeitalter – und so uns nicht der Strom ausgeht, wird das auch nicht mehr weggehen.

Von daher werde ich darauf hinwirken, dass mein Nachwuchs digital potent anstatt digitaler Analphabet wird.