Manchmal kann man bis in die Ewigkeit sehen

Im März 2015 sind wir umgezogen, raus aus unserer Mietwohnung, in ein über 80 Jahre altes Haus mit großem Garten. Eigentlich wollte ich nie ein Eigenheim. Das kam mir immer spießig vor. Ich habe auch kein eigenes Auto und gedenke nicht, in diesem Leben noch eines zu kaufen. Bestimmte Arten von Besitz empfand ich  immer eher als Belastung denn als Freiheit.

Die ersten beiden Besichtigungen des Hauses im Spätherbst 2014 hatte meine Frau mit Sohnemann alleine absolviert, ich kam erst beim dritten Mal dazu. Mika stürmte sofort los, durch den Flur, weiter durchs Esszimmer und raus in den großen, etwas verrohten Garten, wo er wild umhertollte. Während ich ihn so sah, änderte ich meine Meinung.

Dieses Haus, dieser Garten musste es sein. Vorher hatte ich bei dieser Entscheidung ganz vergessen, dass es hierbei ja gar nicht um mich ging. Nun sah ich einen Ort, wo meine Kinder groß werden würden. Das änderte alles.

Einige Monate nach dem Einzug, im Sommer 2015, saßen wir an einem Samstagmorgen im Esszimmer beim Frühstück. Das Radio lief und 1Live spielte Are You With Me von Lost Frequencies:

I wanna dance by water ’neath the Mexican sky
Drink some Margaritas by a string of blue lights
Listen to the Mariachi play at midnight
Are you with me, are you with me?

Plötzlich sprang meine Frau auf, ging einige Meter weiter und begann, zu dem Beat zu tanzen. Diese Gelegenheit ließ sich Sohnemann natürlich nicht entgehen. Er kletterte von seinem Kinderstuhl und stürmte zu ihr. Sie nahm ihn an beiden Händen und im nächsten Moment tanzten sie gemeinsam durch unser Wohnzimmer wie wilde Hummeln. Und sie lachten. Und hüpften. Sprangen immer ausgelassener.

Wir hatten während der Renovierung bodentiefe Fenster zum Garten hin einbauen lassen. In jenem Moment kam die Sonne hinter den Wolken hervor und tauchte meine Familie in dieses besondere Licht, jene schimmernden einzelnen Strahlen, von denen ich als Kind immer dachte, sie wären der liebe Gott.

Ich schaute den beiden weiter zu. Und weinte ein bisschen.

Mit dem Kleinkind im Restaurant? Die bösen Blicke muss man aushalten

Mika RestaurantMeine Frau und ich haben im Grunde wenig gemeinsame Hobbys, sind überhaupt ziemlich unterschiedlich, auf eine gute Art. Wir versuchen nicht, ständig am anderen rumzuschrauben, sondern akzeptieren uns so, wie wir sind. Klappt natürlich nicht immer, aber ich denke, wir sind ganz gut unterwegs. Was uns jedoch ein heiliges Ritual ist: Wir gehen sehr regelmäßig auswärts essen, haben unsere Handvoll Lieblingsrestaurants, in die wir immer und immer wieder gehen. Dann sprechen wir, oder schweigen wir, lassen es uns gut gehen, genießen.

Als klar wurde, dass wir bald Eltern sein würden, haben wir beschlossen, mit dieser Tradition gerade nicht zu brechen, sondern Junior immer und überall mit hinzunehmen. In den ersten drei Monaten ist das eh kein Problem. Da liegen die Krümel meist friedlich in einer Tragschale. Wenn es doch mal laut wird, gibt es eigentlich nur die Auswahl zwischen „Ich habe Mordshunger“ oder, ein wenig später „Ich habe ein Bäuerchen quersitzen“. Das lässt sich in der Regel schnell beheben.

Komplizierter wird es, wenn die Kids schon sitzen können und alleine essen wollen, die Feinmotorik aber noch der eines juvenilen Dobermanns auf Speed ähnelt. Mit Mika konnte es passieren, dass der Bereich rund um unseren Tisch in einem Areal von mehreren Quadratmetern ausschaute, wie das schnuckelige norddeutsche Örtchen Wacken, nachdem die jährlichen 75.000 Besucher des berühmt-berüchtigten Heavy Metal-Festivals wieder abgezogen sind. Außerdem kann ein gut gelaunter Einjähriger auch einen ähnlichen Lautstärkepegel erreichen, wenn er denn nur will (Anmerkung: meistens wollen sie…). Was tun, sprach Zeus?

Mein Antwort lautet: Einfach machen, trotz allem. Meine feste Überzeugung: Das müssen die anderen Gäste aushalten. Beziehungsweise: Wir müssen eben die bösen Blicke aushalten. Deutschland ist in vielen Bereichen leider ein nicht eben kinderfreundliches Land. Geht man beispielsweise in Italien essen, ist es völlig normal, dass der Nachwuchs auch bis spätabends dabei ist und tut, was Kinder eben tun: Laufen, lärmen, plämpern, spielen, lachen. Und wieder von vorne.

Ich jedenfalls verspüre wenig Lust, durch meinen „Beitrag zur Sicherung unseres Rentensystems“ für ein Jahrzehnt auf ein geregeltes Sozialleben zugunsten des kinderlosen Teils der Bevölkerung zu verzichten. Das statistische Bundesamt hat ausgerechnet, dass die Aufzucht eines Kindes bis zum 18. Lebensjahr rund 130.000 Euro kostet – und das sind nur die sogenannten Konsumausgaben. Nicht eingerechnet sind die „Arbeitsstunden“, der Gehalts- und Rentenverlust, welcher durch die Kinderbetreuung entsteht – und schon gar nicht die Beträge, die der Nachwuchs später in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen wird, um die die Sozialleistungen für die Kinderlosen mitzufinanzieren. In diesem Sinne:

Liebe DINKs!* Wenn ihr euch beim Genuss eures Rucola-Salats durch meinen nicht ganz Knigge-konformen Sohnemann gestört fühlt: Es geht mir ehrlich gesagt am Arsch Gemüt vorbei. Lernt, mit dem Gebrüll und dem Dreck zu leben, ich schaffe auch jeden Tag. Das ist das Leben.

* Bevölkerungsgruppe “Double Income, No Kids”

Also das Allerschönste was Füße tun können ist: Tanzen

Mika_GitarreEs gibt ein interessantes Phänomen: Fragt man eine größere Gruppe Erwachsener, ob sie beispielsweise singen oder tanzen können, dann wird ein guter Teil dieser Menschen mit nein antworten. Bei Kindern (bis zum etwa siebten, achten Lebensjahr) ist das anders. Die überwiegende Mehrheit würde lauthals ja schreien und vermutlich auch gleich etwas zum Besten geben. Sohnemann ist ebenfalls ein großer Tänzer. Er beherrscht mittlerweile Breakdance, Flamenco, und ist außerdem ein beinharter Headbanger. Mit keiner seiner Darbietungen würde er beim Supertalent in den Recall kommen, aber darum geht es auch nicht. Er tut es einfach gerne – vermutlich, weil ich schon von Beginn an immer mit ihm im Arm geschwoft habe.

Ganz zu Anfang habe ich in nachts in meinem Armen gewiegt, wenn er nicht schlafen konnte und dazu „Don´t cry“ von Guns N´ Roses oder „Three little Birds“ von Bob Marley gesungen. Später haben wir dann Runde um Runde um unseren Esstisch gedreht, ganz gleich, ob zur Popmusik auf 1Live, den Kinderliedern der Giraffenaffen, oder zu „Ace of Spades“ von Motörhead – was eher meinem persönlichen Geschmack entspricht.*

Ich finde es wunderbar, wie Mika sich im Augenblick für jedwede Form von Musik begeistern kann. Wir waren schon mit ihm auf einem Punkkonzert und er hat Luftgitarre wie ein Weltmeister gespielt. Er liebt Kabellos, die mobile Unplugged-Band, welche regelmäßig auf unserem Wochenmarkt oder in der lokalen Shopping Mall Schlager und Oldies zum Besten gibt. Und auch die Indio-Bands, die in regelmäßigen abständigen in unserer Fußgängerzone „El cóndor pasa“ in Endlosschleife flöten, werden ausnahmslos von ihm mit einem Euro bedacht. Er ist da noch sehr eklektisch aufgestellt, obwohl ich insgeheim schon hoffe, dass aus ihm mal ein ordentlicher Rocker wird.

Eine unserer Tanzeinlagen hat sogar einen minimalen Grad an Berühmtheit erlangt. Ich habe durch meinen Beruf den hochtalentierten und durchweg sympathischen britischen Singer-Songwriter Jonathan Jeremiah kennengelernt, dessen Song „Gold Dust“ der geneigte Leser vielleicht durch Werbung für eDarling oder den Gedöns-Händler Rituals kennt. Im Spätsommer 2015 walzte ich mit Mika vorzugsweise zu den Klängen seines Songs „Smiling“ durch unser Wohnzimmer. Einmal zückte meine Frau ihr Handy und filmte uns. Nachdem ich Jonathan davon erzählt hatte, bat er mich, ihm den Clip zu schicken. Er postete ihn dann auf seinem Facebook-Profil und schrieb dazu: „It’s moments like these that make my career choice feel extremely worthwhile. XJJ“ Wenn Sie uns einmal zuschauen möchten, besuchen Sie bitte:

*Rock ´n´ Roll in Peace, Lemmy Kilmister. Am Tag, als ich dies aufschrieb, ist dieser einmalige Frontman gestorben.

Heute ist Mamatag

Ina_Mika_MotorradSohnemann wacht morgens zwischen uns auf und kuschelt erstmal ausgiebig mit Mama. Als er zusammen mit ihr aufsteht, ums ins Bad zu gehen, ohne mich eines Blickes zu würdigen, necke ich ihn freundlich: „Sagst du mir guten Morgen?“ Er geht weiter und ruft von nebenan: „Is egal.“

Ich schmunzle. Ein wenig. Heute ist ein Mamatag. Das gibt es etwa einmal in der Woche. Auch, als ich abends von der Arbeit nachhause komme, werde ich kaum eines Blickes gewürdigt. Mit Müh und Not kann meine Frau Mika überreden, den Blick von seinem Spielzeug abzuwenden und mich zu begrüßen. Eine Umarmung, oder gar ein Willkommenskuss? Ist heute einfach nicht drin.

Ich habe mich daran gewöhnt, dass es diese Tage gibt. da beißt die Maus keinen Faden ab. Es wäre übertrieben zu sagen, dass ich an solchen Tagen nicht existiere. Aber ich bin dann einfach so überhaupt nicht wichtig. Kuscheln? Geht nur mit Mama, trösten ebenso. Desgleichen darf nur sie die letzten Nudeln von seinem Teller essen. Und wehe, es kommt der Vorschlag, ich könne ihn ja als Ausgleich ins Bett bringen. Dann ist Holland in Not – und unser Mieter oben merkt einmal mehr, wie dünn die Decke eigentlich ist.

Ich denke, solche Tage muss man als Papa einfach rausrechnen. Ich habe von befreundeten Vätern gehört, dass das „einfach so ist“. Zugegeben, es nicht immer leicht, diesen Umstand zu akzeptieren. Natürlich bin ich lieber der der Super-Papa, oder wenigstens ein halbwegs akzeptabler Spielkamerad. Ich möchte am liebsten immer eine aktive Rolle in seinem Leben spielen, zumal ich durch meine beruflichen Verpflichtungen sowieso deutlicher weniger Zeit mit ihm verbringen kann als meine Frau.

Ich habe über die Zeit gelernt, sein Verhalten an solchen Tagen nicht als Ablehnung zu definieren. An manchen Tagen ist ja auch das absolute Lieblingsspielzeug total out. Der kleine Wurm hat seine Bedürfnisse und er wird schon wissen, was ihm gut tut. Das muss ich einfach akzeptieren. Aber gefallen muss es mir nicht.

Nachtrag:

Diesen Text schrieb ich auf, als Sohnemann knapp drei Jahre alt war. Vor gut drei Wochen haben wir unser zweites Kind bekommen, eine Tochter. Ich bin schon gespannt wie ein Flitzebogen, ob wir hier vielleicht die gegenteilige Erfahrung machen werden. Befreundete Väter von Töchtern jedenfalls haben mir versichert, dass ich mich für die Zukunft wohl auf vollumfängliche Papatage freuen kann. Wobei das noch ein wenig dauert. Gegen Mamas Milch ist einfach kein Papakraut gewachsen…

Møbelhaus-Phøbie: Ein Nachmittag in der Hølle

Mika_TuermchenIch hasse Möbelhäuser. Ich hasse sie. Abgrundtief. Und wähle diese Worte bewusst. Habe sie schon gehasst, bevor ich Vater wurde. Kann nicht verstehen, wie man seinen Samstag freiwillig an solchen Orten des Grauens verbringen kann. Keine Fenster, es riecht abscheulich und man muss komplett durchgehen, wenn man erst mal drin ist. Sie nehmen einem Licht. Entscheidungsfreiraum. Und vor der Kasse kommt noch die Demütigung mit dem ganzen Tüddelkram, den keiner braucht.

Um dieses Ambiente zu goutieren, bin ich vielleicht doch zu sehr Mann. Zum Glück haben meine Frau und ich da eine klare Trennung. Es gibt gewissermaßen Ressorts, bei denen der/die andere nichts zu melden hat – wie in einem Unternehmen. Von daher komme ich nur äußerst selten in die Verlegenheit, überhaupt ein Möbelhaus betreten zu müssen.

Doch an einem Wochenende im Frühsommer 2015 hatte mich wohl meine Willenskraft verlassen. Meine Frau fragte mich, ob ich nicht mit dem Sohnemann und ihr mitkommen wolle zu dieser Møbelkette mit den vier Buchstaben. Sie wissen schon. Warum ich bei der Frage nicht einfach schreiend davon gerannt bin, kann ich heute nicht mehr nachvollziehen. Seit diesem Nachmittag habe ich einen weiteren triftigen Grund für meine Møbelhaus-Phøbie.

Auf einmal war er weg. Einen Moment nicht hingeschaut. Und er war weg. Zweieinhalb ist ein Alter, in dem die Mobilität schier unendlich groß wird, während der Verstand noch winzig ist, wie eine Arbeitskollegin es mal ausgedrückt hat. Wollte ich mein Kind absichtlich verlieren, so würde ich vermutlich ein Möbelmarkt als Ort auswählen, es bietet einfach ideale Bedingungen: Sie sind riesig, verwinkelt, und mit allerlei hohem Zeugs vollgestellt. Beste Voraussetzungen also, um die Orientierung zu verlieren.

Wir durchsuchten panisch die Abteilung, öffneten jeden Schrank und jede Kiste, riefen seinen Namen, brüllten uns gegenseitig an, weil ja der andere nicht aufgepasst hatte. Aber er blieb verschwunden. Schlagartig durchzuckte mich ein Gedanke: Was, wenn er sich nicht verlaufen hätte, sondern entführt worden wäre? Was, wenn ihn jetzt gerade jemand schreiend in sein Auto lüde*, um auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden?

Während ich noch meiner Frau zurief, dass sie Sohnemann über die Lautsprecheranlage ausrufen lassen sollte, stürmte ich los und rannte Richtung Ausgang, wobei das Verb an einem Samstagnachmittag eher „rammte“ heißen sollte. Zwei komplette Abteilungen weiter – wie er das in den wenigen Sekunden geschafft hat, verstehe ich bis heute nicht – fand ich ihn.

Er stand einfach da. Wunderschön. Schaute ein wenig verlegen, still, zwei Finger im Mund. Hatte wohl auch gemerkt, dass etwas nicht OK ist, weil weder Mama noch Papa zu sehen waren. Ich ging vor ihm auf die Knie, umarmte ihn so fest es seine fragile Statur erlaubt und ging zurück zu meiner Frau. Sie weinte länger, bei mir machte sich schnell die Erleichterung bemerkbar. Ich weinte später.

Wir haben uns am Tag geschworen, dass das nie wieder passieren solle. Aber das ist Quatsch. Es kann jederzeit wieder passieren, ob mit oder ohne Möbelhaus. So ist das Leben…


*Das Erwachsene mit schreienden, strampelnden Kleinkindern unter dem Arm ein Geschäft verlassen, ist etwas völlig alltägliches. In 99,9999999% der Fälle sind es die eigenen Eltern. Deswegen würde es im schlimmsten Fall auch kaum auffallen.

Kindermund tut Wahrheit kund – oder: Der dritte Kroin-Zyklus

Mika_schlafend_entspanntSohnemann ist im Prinzip ein pflegeleichtes Kind. Das einzige Thema, bei dem er ein bisschen schwierig ist: Alleine einschlafen. Das war von Anfang an nicht seine Spezialdisziplin. Jetzt, da er drei ist, klappt es an den meisten Abenden. Doch bis etwa zweieinhalb konnte oder wollte er nur einschlafen, wenn jemand neben ihm saß und seine Hand hielt.

Bei uns ging das meistens so: Es wurde noch ein Bilderbuch gelesen, dann kamen zwei bis drei Runden „La Le Lu“, schließlich noch einen Schluck Wasser – und dann war Mika bereit für die Nachtruhe. Zuallerletzt sagte er „Hand!“, dann umklammerte er meinen Daumen und schaute fortan die fluoreszierenden Sterne an Decke und Wand an.

Vorher wurden allerdings die Nachttischlampe aus und dann „die Kroin“ angemacht. Die Kroin ist eine blaue Schildkröte, die über bewegliche Lampen durch ein Prisma eine Wellenbewegung an Wand und Decke projiziert. Dazu gibt es wahlweise Meeresrauschen oder eine beruhigende Melodie auf der Tonspur. Am Anfang konnte Mika das Wort Kröte noch nicht aussprechen, stattdessen sagte er Kroin – und wurde somit auch Namensgeber einer völlig neuen Zeiteinheit, dem sogenannten Kroin-Zyklus.

Ein Kroin-Zyklus besteht aus zwanzig Minuten, denn nach dieser Zeit geht das Kroin-Wellenlicht automatisch aus. Meine Frau und ich bemaßen somit die Einschlafzeit unseres Sohnes fortan in Kroin-Zyklen. Schlief er innerhalb des ersten Zyklus ein, war das ein Erfolg. Inmitten des zweiten Zyklus: akzeptabel. Mehr als zwei Kroin-Zyklen: Pffffffft. Da er ja immer einen Daumen mit seiner Hand umklammerte, fing man gegen Ende des ersten Kroin-Zyklus vorsichtig an zu testen, ob man den Daumen herausziehen konnte. Und obwohl die Äugelein schon lange zu waren, konnte es immer vorkommen, dass seine Hand nochmal energisch Zugriff und ihr gottgegebenes Daumenrecht einforderte.

Eines Abends, mit etwa zwei Jahren, als sich das Einschlafen besonders langwierig gestaltete (wir schon weit im dritten Zyklus) verlor ich die Geduld, weil ich dringend noch einige berufliche E-Mails raushauen wollte. Ich testete also wie immer, ob ich den Daumen wegziehen konnte. Mikas Augen gingen ein kleines Stück weit auf und es entspann sich folgender leereicher Dialog:

Vater: Mika, du musst jetzt einschlafen!
Sohn: Kann nicht.
Vater: Aber Papa muss noch was arbeiten.
Sohn, schläfrig: Arbeiten morgen. Bisschen hier bleiben.
Ich blieb.

Die Top 3 der sonstigen Einschlaf-Dialoge

Vater: Schläfst du heute alleine ein?
Sohn: Kann ich nicht. Ich bin noch klein.
Vater: Wann wirst du denn groß?
Sohn: Nächsten Dienstag.


Vater: Du musst jetzt schlafen.
Sohn: Ich kann nicht schlafen. Schlafen ist anstrengend.


Vater: Du musst jetzt schlafen.
Sohn: Ich kann leider nicht schlafen. Tut mir leid, Papa. Die Augen gehen einfach immer wieder auf.

Drecksbude!

Mika_SpinatIn meinem Elternhaus war´s immer blitzblanksauber. Ich glaube, meine Mutter hat es als Teil ihrer Hausfrauenehre aufgefasst, mindestens einmal am Tag feucht durchzuwischen. Ich bin also gewissermaßen mit hohen Hygienestandards aufgewachsen. Meine liebe Frau nimmt´s da nicht ganz so genau, sie pflegt einen etwas entspannteren Umgang mit Krümeln und dreckigem Geschirr. Ich musste mich also schon einmal umgewöhnen, als wir zusammengezogen sind. Doch konnte mich das in keiner Weise darauf vorbereiten, wie viel Dreck so ein Kind verursachen kann – und das buchstäblich in Sekundenbruchteilen.

Ich bin zum Beispiel zu der Überzeugung gelangt, dass Sohnemann seine Brötchen gar nicht isst, sondern eine viel sophistizierte Methode anwendet: Wenn ich Menge und Streuradius der Krümel richtig deute, scheint er die Schrippen in die Luft zu schleudern und mit einem Laserstrahl in Millionen Einzelteile zu zerbröseln. Wenn diese dann wieder von der Schwerkraft angezogen werden, schnappt er mit dem Mund alles auf, was in nächster Nähe vorbeifliegt. Alles andere wird fortan Teil der ihn umgebenden Szenerie.

Übrigens auch im Auto. Gegen die Rückbank unseres Nissans ist der Lieferwagen vom Bäcker um die Ecke ein hochsteriler Reinraum.

Des Weiteren war es eine furchtbar blöde Idee, beim unserem Einzug die Wände hoch-weiß streichen zu lassen. Es ist ja gar nicht so, dass Sohnemann die Wände aktiv anmalt (die Phase kommt vermutlich noch) – eher ist es ein wilder Mix aus verschiedenfarbigen Streifen, die entstehen, während er mit Schuhen, Spielzeugautos, Musikinstrumenten, seinem Mund, Bauklötzen, den von Tomatensauce beschmierten Händen, Lollys und der oben genannten Laserkanone daran vorbeischrappt.

Vielleicht bin ich ja einfach ein wenig überempfindlich. Ich fange zwischendurch immer an, mit dem angefeuchteten Finger die Krümel einzeln vom Boden aufzupicken, wie ein blindes Huhn. Total ineffizient und vermutlich ein bisschen eklig, so von außen betrachtet. Aber ich kann´s nicht lassen. Habe jetzt auf Amazon einen Handstaubsauger bestellt, nachdem der alte schon vor einem halben Jahr den Geist aufgegeben hat. Er hat sechs Wochen Lieferzeit.

Bis dahin werde ich weiterpicken.

Freunde fürs Leben

Mika_schlafendEs gibt diese Momente, da bringen Kinder dein Herz zum Zerspringen mit der Wucht ihrer ungefilterten Gefühle, ihrer Ehrlichkeit, ihrer grenzenlosen Liebe.

Eines Abends im Herbst 2015 lag ich wie so oft neben Sohnemann im Bett, nachdem ich ihm bereits eine Gute-Nacht-Geschichte vorgelesen hatte. Das Licht war gelöscht, er umklammerte meinen Daumen mit einer Hand und ich beobachtete selig, wie er immer tiefer und gleichmäßiger atmete.

Ich dachte, er sei bereits eingeschlafen und wollte mich gerade vorsichtig aus dem Zimmer schleichen. Auf einmal drehte sich Mika zu mir, nahm meinen Kopf in seine kleinen Hände, zog mich ganz nah an sein Gesicht und flüsterte schläfrig:

„Ich bin dein Freund.“

Bäm!

Der frühe Vogel ist ein Arschgesicht

Wenn man Single ist, oder kinderlos, und außerdem nicht Marktbeschicker ist, dann kann man am Wochenende in der Regel ausschlafen. Wenn man ein Sohn hat, der so zwei Jahre und ein bisschen alt ist, kann es sein, dass er sonntags um kurz vor halb sieben am Bett steht, die warme Bettdecke wegzieht und folgendes von sich gibt:

„Papa wach? Mika müde alle. Autehn. Hopp!“

Sehr, sehr unlustig. Wenn´s nicht so lustig wäre. Ende der Geschichte.

Nico_Mika_Kuscheln_Bett