Møbelhaus-Phøbie: Ein Nachmittag in der Hølle

Mika_TuermchenIch hasse Möbelhäuser. Ich hasse sie. Abgrundtief. Und wähle diese Worte bewusst. Habe sie schon gehasst, bevor ich Vater wurde. Kann nicht verstehen, wie man seinen Samstag freiwillig an solchen Orten des Grauens verbringen kann. Keine Fenster, es riecht abscheulich und man muss komplett durchgehen, wenn man erst mal drin ist. Sie nehmen einem Licht. Entscheidungsfreiraum. Und vor der Kasse kommt noch die Demütigung mit dem ganzen Tüddelkram, den keiner braucht.

Um dieses Ambiente zu goutieren, bin ich vielleicht doch zu sehr Mann. Zum Glück haben meine Frau und ich da eine klare Trennung. Es gibt gewissermaßen Ressorts, bei denen der/die andere nichts zu melden hat – wie in einem Unternehmen. Von daher komme ich nur äußerst selten in die Verlegenheit, überhaupt ein Möbelhaus betreten zu müssen.

Doch an einem Wochenende im Frühsommer 2015 hatte mich wohl meine Willenskraft verlassen. Meine Frau fragte mich, ob ich nicht mit dem Sohnemann und ihr mitkommen wolle zu dieser Møbelkette mit den vier Buchstaben. Sie wissen schon. Warum ich bei der Frage nicht einfach schreiend davon gerannt bin, kann ich heute nicht mehr nachvollziehen. Seit diesem Nachmittag habe ich einen weiteren triftigen Grund für meine Møbelhaus-Phøbie.

Auf einmal war er weg. Einen Moment nicht hingeschaut. Und er war weg. Zweieinhalb ist ein Alter, in dem die Mobilität schier unendlich groß wird, während der Verstand noch winzig ist, wie eine Arbeitskollegin es mal ausgedrückt hat. Wollte ich mein Kind absichtlich verlieren, so würde ich vermutlich ein Möbelmarkt als Ort auswählen, es bietet einfach ideale Bedingungen: Sie sind riesig, verwinkelt, und mit allerlei hohem Zeugs vollgestellt. Beste Voraussetzungen also, um die Orientierung zu verlieren.

Wir durchsuchten panisch die Abteilung, öffneten jeden Schrank und jede Kiste, riefen seinen Namen, brüllten uns gegenseitig an, weil ja der andere nicht aufgepasst hatte. Aber er blieb verschwunden. Schlagartig durchzuckte mich ein Gedanke: Was, wenn er sich nicht verlaufen hätte, sondern entführt worden wäre? Was, wenn ihn jetzt gerade jemand schreiend in sein Auto lüde*, um auf Nimmerwiedersehen zu verschwinden?

Während ich noch meiner Frau zurief, dass sie Sohnemann über die Lautsprecheranlage ausrufen lassen sollte, stürmte ich los und rannte Richtung Ausgang, wobei das Verb an einem Samstagnachmittag eher „rammte“ heißen sollte. Zwei komplette Abteilungen weiter – wie er das in den wenigen Sekunden geschafft hat, verstehe ich bis heute nicht – fand ich ihn.

Er stand einfach da. Wunderschön. Schaute ein wenig verlegen, still, zwei Finger im Mund. Hatte wohl auch gemerkt, dass etwas nicht OK ist, weil weder Mama noch Papa zu sehen waren. Ich ging vor ihm auf die Knie, umarmte ihn so fest es seine fragile Statur erlaubt und ging zurück zu meiner Frau. Sie weinte länger, bei mir machte sich schnell die Erleichterung bemerkbar. Ich weinte später.

Wir haben uns am Tag geschworen, dass das nie wieder passieren solle. Aber das ist Quatsch. Es kann jederzeit wieder passieren, ob mit oder ohne Möbelhaus. So ist das Leben…


*Das Erwachsene mit schreienden, strampelnden Kleinkindern unter dem Arm ein Geschäft verlassen, ist etwas völlig alltägliches. In 99,9999999% der Fälle sind es die eigenen Eltern. Deswegen würde es im schlimmsten Fall auch kaum auffallen.

Von Freuden und Tränen

Freuden_TraenenIch habe ein bisschen nah am Wasser gebaut für einen echten deutschen Mann, heule oft und gehe dafür auch nicht in den Keller. Anlässe gibt es ja genug, meistens Filme oder Musik. Gerade habe ich „Honig im Kopf“ gesehen, da musste ich weinen am Ende, als der von Dieter Hallervorden gespielte Opa Amandus an Alzheimer stirbt. Meistes kommen mir jedoch in den schönen Momenten die Tränen, zum Beispiel beim Kanon in D-Dur von Johann Pachelbel – aber höchstens jedes dritte Mal.

Seit ich Vater bin, weine ich noch mehr. Es gibt so viele Momente, die ans Herz gehen, sehr unmittelbar und stärker als vieles, was ich zuvor kannte. Das erste Mal erwischte es mich in einem völlig unpassenden Moment auf der Arbeit. Ich saß – gottseidank allein – in meinem Büro, als meine Frau mir via WhatsApp ein Ultraschallbild schickte, so etwa in der 13. Woche. Auf früheren Bildern ist ehrlich gesagt nicht so viel zu erkennen. Ich habe als Junge ab und an in einem nahe gelegenen Weiher Kaulquappen gefangen. Das geht exakt in die gleiche Richtung. Nach ein paar Wochen hat es dann was von einem Gummibärchen, nachdem es ein paar Tage in Wasser eingelegt war. Doch nun war es klar erkennbar: mein Kind.

Es sah aus, wie das, was Fox Mulder in den X-Akten in etwa jeder siebten Folge bei ganz viel Cryo-Nebel und Gegenlicht für etwa zwei Sekunden durch einen Türspalt erblicken konnte: Ein süßes kleines Alien-Baby. In dem Moment überkam es mich. Ich weinte und weinte und weinte. Betete, dass nicht ausgerechnet jetzt jemand die Tür öffnen würde, um meinen Nimbus als smarte Nachwuchsführungskraft für immer zu zerstören. Irgendwann versiegte der Strom und ich antworte meiner Frau, so wie man es tut, wenn man gerade Matsche im Hirn hat. Vermutlich war es das Daumen-Hoch-Icon. Und ein Herz.

Ein anderes Mal, etwa um dieselbe Zeit erwischte es mich spät abends, als meine Frau und ich zu Bett gingen. Ein paar Tage zuvor hatte ich aus einem Impuls heraus ein Stofftier erstanden, so ein Schnüffeltier, bei dem der Kopf halbwegs massiv ist, während der Körper praktisch nur aus dünnem Stoff besteht. Es war ein Bärchen und wir hatten ihn Gomez Pommes getauft, weil Mario Gómez in den Monaten zuvor bei der Fußball-Europameisterschaft 2012 so viele schöne Tore gemacht hatte. Wo die Pommes herkamen, weiß ich heute nicht mehr, aber ich erinnere mich, dass meine Frau in der Schwangerschaft phasenweise süchtig nach Kohlenhydraten war. So muss es gewesen sein.

Auf jeden Fall legte sie Gomez an jenem Abend spontan zwischen uns auf das Kopfkissen. Und auf einmal schossen mir wieder Sturzbäche an Tränen aus den Augen. In dem Moment hatte ich wohl zum ersten Mal verinnerlicht, dass einige Monate später ein echtes Würmchen zwischen uns liegen würde. Ich erinnere mich, dass meine Frau mich – auf sehr liebevolle Weise – ein wenig ausgelacht hat. Dann haben wir gekuschelt.

Warte mal, bis er laufen kann – oder: Fronkreisch, Fronkreisch

Mika_turntEs gibt da eine Sache am Papa-sein, die ich bedenklich bis ausnehmend ärgerlich finde. Es scheint unter manchen Männern das Vorurteil zu herrschen, dass man(n) mit Kindern erst etwas anfangen kann, wenn sie „etwas können“. Jedenfalls bekommt man das regelmäßig untergeschoben. Da fallen dann Sätze wie: „Warte mal, bis er drei oder vier ist, dann kannst du ihm das Fahrradfahren beibringen.“

Das mag ja richtig sein, aber zwischen den Zeilen schwingt da bisweilen etwas mit, was für mich das Folgende zum Ausdruck bringt: „Du als Vater bis erst mal nicht so wichtig.“ Doch nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Natürlich ist eine Mutter, gerade in den ersten Lebensmonaten, der wichtigste Bezugspunkt. Sie hat auch neun Monate Vorsprung an Bindung. Aber das heißt doch nicht, dass der Vater deswegen unwichtig ist.

Fakt ist natürlich: So ein Neugeborenes tut erst mal nicht viel außer trinken, schreien, pupsen, schlafen, gelegentlich ein Bäuerchen machen und zwischendurch ein bisschen in der Gegend rumgucken. Wenn man nicht genau hinguckt. Das heißt doch aber nicht, dass sie nichts mitbekommen.

Denn es passiert so viel mehr. Es passiert in den Augen, die sich zu- und abwenden. Es passiert in den Lippen, die sich kräuseln und öffnen und wieder schließen. Es passiert in den kleinen Fingerchen, die tasten und fühlen, halten und wieder loslassen. Hier sind Töne, da ist ein Duft, und die Wärme, wenn man auf der Brust liegt von diesen großen Mama- und Papa-Menschen.

Fakt ist natürlich auch: An so einem Teil ist keine Bedienungsanleitung dran. Das mit dem essen, pupsen und schlafen ist relativ einfach zu verstehen. Aber was ist mit der Zeit dazwischen?

Im Grunde ist man wie die Ratte im Käfig, die darauf wartet, dass die Person mit dem Kittel einem ein Leckerchen gibt, wenn man zufällig was richtig gemacht hat.

Da gilt es zu improvisieren – oder, auf gut Deutsch – sich zum Affen zu machen. Für mich (und sicherlich auch für meine Frau) waren die ersten Monate ein einziges großes Experiment, Versuch und Irrtum bis zum Abwinken. Im Grunde ist man ein bisschen wie die Ratte im Käfig, die darauf wartet, dass die Person mit dem Kittel einem ein Leckerchen gibt, wenn man zufällig was richtig gemacht hat. Und dann macht man eben mehr davon.

Ich erinnere mich, dass ich um Mikas fünften Lebensmonat mal drei Wochen ausschließlich mit einem gefakten französischen Akzent mit ihm gesprochen habe (à la „Fronkreisch, Fronkreisch“ von den Bläck Fööss). Einfach, weil der Kleine sich jedes Mal scheckig gelacht hat. Etwa zur selben Zeit hat meine Frau mindestens fünfzig Mal am Tag die Frage „Wo ist der dicke Bär?“ wiederholt, wobei das Wort Bär eher wie „Böar“ ausgesprochen und sehr lang gezogen werden musste (Wo ist der dicke Böööääääär?) – sonst wirkte es nicht.

Und irgendwann war´s dann vorbei. Hat nicht mehr gewirkt. Dann probiert man eben etwas Neues. Es kommt immer etwas Neues, so lange man nur weiter bereit ist, sich zum Affen zu machen und sehr genau hinzugucken, welches Feedback von dem kleinen Persönchen kommt.

Natürlich hätte ich warten können, bis ich ihm das Fahrradfahren beibringen kann. Ich hätte mich raushalten, die traditionelle Männerrolle annehmen können. Aber das wäre irrsinnig dumm und verschenkte Zeit gewesen. Die bekommt man nicht mehr zurück.