Kindermund tut Wahrheit kund – oder: Der dritte Kroin-Zyklus

Mika_schlafend_entspanntSohnemann ist im Prinzip ein pflegeleichtes Kind. Das einzige Thema, bei dem er ein bisschen schwierig ist: Alleine einschlafen. Das war von Anfang an nicht seine Spezialdisziplin. Jetzt, da er drei ist, klappt es an den meisten Abenden. Doch bis etwa zweieinhalb konnte oder wollte er nur einschlafen, wenn jemand neben ihm saß und seine Hand hielt.

Bei uns ging das meistens so: Es wurde noch ein Bilderbuch gelesen, dann kamen zwei bis drei Runden „La Le Lu“, schließlich noch einen Schluck Wasser – und dann war Mika bereit für die Nachtruhe. Zuallerletzt sagte er „Hand!“, dann umklammerte er meinen Daumen und schaute fortan die fluoreszierenden Sterne an Decke und Wand an.

Vorher wurden allerdings die Nachttischlampe aus und dann „die Kroin“ angemacht. Die Kroin ist eine blaue Schildkröte, die über bewegliche Lampen durch ein Prisma eine Wellenbewegung an Wand und Decke projiziert. Dazu gibt es wahlweise Meeresrauschen oder eine beruhigende Melodie auf der Tonspur. Am Anfang konnte Mika das Wort Kröte noch nicht aussprechen, stattdessen sagte er Kroin – und wurde somit auch Namensgeber einer völlig neuen Zeiteinheit, dem sogenannten Kroin-Zyklus.

Ein Kroin-Zyklus besteht aus zwanzig Minuten, denn nach dieser Zeit geht das Kroin-Wellenlicht automatisch aus. Meine Frau und ich bemaßen somit die Einschlafzeit unseres Sohnes fortan in Kroin-Zyklen. Schlief er innerhalb des ersten Zyklus ein, war das ein Erfolg. Inmitten des zweiten Zyklus: akzeptabel. Mehr als zwei Kroin-Zyklen: Pffffffft. Da er ja immer einen Daumen mit seiner Hand umklammerte, fing man gegen Ende des ersten Kroin-Zyklus vorsichtig an zu testen, ob man den Daumen herausziehen konnte. Und obwohl die Äugelein schon lange zu waren, konnte es immer vorkommen, dass seine Hand nochmal energisch Zugriff und ihr gottgegebenes Daumenrecht einforderte.

Eines Abends, mit etwa zwei Jahren, als sich das Einschlafen besonders langwierig gestaltete (wir schon weit im dritten Zyklus) verlor ich die Geduld, weil ich dringend noch einige berufliche E-Mails raushauen wollte. Ich testete also wie immer, ob ich den Daumen wegziehen konnte. Mikas Augen gingen ein kleines Stück weit auf und es entspann sich folgender leereicher Dialog:

Vater: Mika, du musst jetzt einschlafen!
Sohn: Kann nicht.
Vater: Aber Papa muss noch was arbeiten.
Sohn, schläfrig: Arbeiten morgen. Bisschen hier bleiben.
Ich blieb.

Die Top 3 der sonstigen Einschlaf-Dialoge

Vater: Schläfst du heute alleine ein?
Sohn: Kann ich nicht. Ich bin noch klein.
Vater: Wann wirst du denn groß?
Sohn: Nächsten Dienstag.


Vater: Du musst jetzt schlafen.
Sohn: Ich kann nicht schlafen. Schlafen ist anstrengend.


Vater: Du musst jetzt schlafen.
Sohn: Ich kann leider nicht schlafen. Tut mir leid, Papa. Die Augen gehen einfach immer wieder auf.

Ein Kind ändert alles! Ja ne, is klar…

Nico_Mika_FruehstueckIch lese regelmäßig Zeitschriften wie GQ oder die an Männer gerichteten Ableger populärer Frauenmagazine, beispielsweise Gala Men. Zu den jährlich wiederkehrenden Themen dieser Publikationen gehören Berichte darüber, wie es angeblich sei, vom Mann zum Vater zu werden.

Meistens bestehen die Stücke aus den Schilderungen eines Mittdreißigers, der sich darüber auslässt, wie sich in jenem Moment, in welchem er erfuhr, dass er Vater wird, alles, wirklich alles geändert habe (spätestens bei der Geburt…). Vorbei, alles vorbei! Die Sauftouren mit den Freunden, die One-Night-Stands mit all den Frauen, die nicht die Mutter des Kindes sind, die durchgezockten Nächte vor der Playstation mit dem besten Kumpel, die Super-Spontan-Trips nach Budapest und…und…und.

Ich selbst bin vor gut dreieinhalb Jahren Vater geworden, nachdem ich fünf Jahren geheiratet hatte. Und ja: Es hat sich einiges geändert. Vieles sogar. Der Fokus meiner Aufmerksamkeit hat sich umfassend verschoben, zumindest in jener Zeit, in der ich nicht arbeite. Ich habe deutlich weniger Zeit an sich und Schlaf im Besonderen. Die Rollen als Mann und Frau werden zumindest übergangsweise fast vollständig überlagert von den Rollen als Vater und Mutter.

Hat das wirklich alles verändert?

Es mag im Bereich des Möglichen liegen, dass ich einfach ein stinklangweiliges Leben führ(t)e. Ich arbeite gerne, mache halbwegs regelmäßig Sport, gehe ab und an auf Metal-Konzerte und sitze bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit einem Cappuccino im Café zum Lesen und Schreiben. Ab und zu gehe ich feiern, und wenn, dann meistens bis zum Abwinken.

Und jetzt kommt eben dazu (bzw. muss von den vorigen Dingen abgezogen werden): Ich verbringe so viel Zeit wie möglich mit meinem Sohn. Versuche, mein berufliches Reisepensum einzuschränken, sage viele Einladungen ab und stimme mich allgemein besser mit meiner Frau über unseren Kalender ab. Aber ehrlich gesagt: No big deal.

Das führt mich wieder zurück zu den oben genannten Zeitschriften. Meine Lieblingsserie ist Californication. In dieser Farce vögelt sich der von David Duchovny dargestellte Schriftsteller Hank Moody, ein dauerbetrunkener, kettenrauchender, sarkastischer Romancier zu cooler Musik durch die silikonoptimierte Damenwelt von Los Angeles – und das alles, obwohl er mit Karen, der Liebe seines Lebens, eine Tochter im Teenageralter hat.

Höchst unterhaltsam. Ein bisschen wie Sex and the City, nur eben für Männer. Es ist eine irrsinnig freudvolle Phantasie, weil vermutlich jeder Mann auf diesem Planeten sich zumindest ab und zu wünscht, so wie Hank leben zu können. Ohne Grenzen. Ohne Konsequenzen. Ohne Gewissensbisse.

Mir scheint, jene Männer, die davon schreiben, wie sich alles ändert, wollen mich glauben machen, sie hätten vor der Geburt des Kindes eine Art Moodyesques Leben geführt, welches sie dann abrupt aufgeben mussten. Aber wahrscheinlich ist das der Zweck dieser Magazine. Sie zeigen uns Klischees, Phantasien, Traumbilder – und halten sie so lebendig. Ein normales Leben haben wir ja eh schon.

Also, liebe Noch-nicht-Väter da draußen: Wenn Ihr Schiss habt, Papa zu werden, weil sich dann alles ändern könnte: Habt keine Angst. Es passiert nicht. Man wird (noch) ein bisschen erwachsener. Mehr nicht. Wenn Ihr doch das Gefühl habt, es ändere sich alles, denkt daran:

Es ist oft schwerer, sich von einem Traum zu verabschieden, als von einer Wirklichkeit.