Machen Kinder glücklicher oder unglücklicher? Beziehungsweise: Ist das die richtige Frage?

Heute mal keine Schwank aus dem Leben mit meinem Sohn, sondern ein wenig Wissenschaft. Diejenigen unter meinen Lesern, die vielleicht schon einmal meine Biographie angeschaut haben, wissen, dass ich mich eingehend mit Positiver Psychologie beschäftige, in kurz: der psychologischen Wissenschaft vom gelungenen Leben. Es geht um all jene Themen, die man ansonsten vorrangig im Regal für Selbsthilfe beim Buchhändler des Vertrauens findet: Wie werde ich glücklich? Wie finde ich Sinn im Beruf und im Leben an sich? Und natürlich auch: Was lässt eigentlich Beziehungen gelingen oder scheitern? Der Unterschied: In der Positiven Psychologie wird das ganze Tschaka-Guru-Gedöns durch harte wissenschaftliche Fakten ersetzt. Daher findet man hier auch des Öfteren Fakten, die so gar nicht zu den Gemeinplätzen der Selbsthilfe-Industrie passen wollen.

Ich bin mir beispielweise ziemlich sicher, dass mir die meisten Eltern unter meinen Lesern auf die erste Frage in der Überschrift ein krachendes „Glücklicher!“ entgegenschreien würden. Doch bei wissenschaftlicher Betrachtung dieser Frage zeigt sich, dass eine Antwort nicht so eindeutig zu finden ist – die Datenlage ist recht widersprüchlich.

Es gibt diverse Studien, die aufzeigen, dass das individuelle Glücksniveau von Vätern und Müttern spürbar sinkt, wenn ein erstes Kind ins  Haus kommt – und dass es in der Regel auch nicht wieder bedeutend steigt, bis dieses Kind (oder die Kinder) sich anschickt, das Haus zu verlassen. Andere Forscher fanden heraus, dass ein erstes Kind das Glücksgefühl deutlich steigern kann, vor allem für Väter und umso mehr bei Jungen. Schließlich gibt es Studien, welche die klassischer Antwort aller Juristen (und Psychologen…) geben: Kommt drauf an. Oder besser gesagt: Es gibt widersprüchliche Befunde. Zum Beispiel zeigt sich, dass Mütter häufiger gestresst, aber vergleichsweise weniger oft depressiv sind.

Die Fakten

Wenn es einen Haufen widersprüchlicher Forschungsergebnisse zu einem bestimmten Thema gibt, ist es immer eine gute Sache, wenn jemand eine sogenannte Meta-Analyse durchführt. Hierbei handelt es sich um eine Studienform, welche die Ergebnisse früherer Studien bewertet, gewichtet und dann zusammenfassend neu auswertet. Eine solche Metaanalyse wurde 2003 durchgeführt. Hier ein Überblick der wichtigsten Ergebnisse:

  • Die sogenannte Ehezufriedenheit ist unter Paaren mit Kindern im Mittel ein gutes Stück niedriger als bei kinderlosen Paaren.
  • Je mehr Kinder, desto stärker größer das Zufriedenheitsgefälle zwischen Eltern und Kinderlosen.
  • Der Effekt ist besonders ausgeprägt bei Müttern von Babys und Kleinkindern, nicht so sehr bei älteren Kindern. Bei Vätern spielt das Alter der Kinder hingegen keine besondere Rolle.
  • Je wohlhabender die Eltern, desto stärker sinkt im Mittel die Ehezufriedenheit bei Geburt des ersten Kindes.
  • Je jünger die Eltern, desto stärker sinkt das Glücksniveau.

Übergreifend sind die wichtigsten Treiber für die sinkende Ehezufriedenheit mit der Geburt der Kinder verschiedenen Arten von Rollenkonflikten sowie das Gefühl der eingeschränkten Freiheit und Selbstbestimmtheit.

Sollten Kinder uns überhaupt glücklicher machen?

Vielleicht ist die Frage nach dem Glück auch einfach nicht die richtige Frage. Ist es wirklich die Aufgabe unserer Kinder, uns als Eltern glücklicher und zufriedener zu machen? Ich denke nicht. Wenn ein Kind in unser Leben kommt, verlieren wir tonnenweise Geld, Schlaf (und das liegt an schmutzigen Windeln, nicht an schmutzigem Sex…) – und müssen regelmäßig Großoperationen planen und ausführen, welche in ihrer Komplexität höchstens mit der Landung in der Normandie zu vergleichen sind. Und alles nur, um Freitagabend mal ins Kino gehen zu können.

Kinder zu haben macht nicht die ganze Zeit glücklich. Von dieser Illusion sollten wir uns alle besser schnell verabschieden.

Aber Eltern bekommen etwas anderes, beispielsweise das Erleben eines tieferen Sinns im Leben – und das Gefühl bedingungsloser Liebe (…wenn es glatt geht…). Vielleicht hat die frühere Forschung einfach eine falsche Frage gestellt. In der Positiven Psychologie werden zwei verwandte, aber doch klar abgrenzbare Dimensionen des psychologischen Wohlbefindens unterschieden: Die hedonische und die eudaimonische Achse (siehe Grafik).

hedonia_eudaimonia

Auf der hedonischen Achse finden sich die kurzlebigen Freuden des Daseins, Lust, Genuss, die Befriedigung von körperlichen Bedürfnissen. Es geht ums Nehmen im Jetzt und Hier, das Ich: den Spaß. Dagegen ist absolut nichts einzuwenden – allerdings wird sofort ersichtlich, dass es genau diese Aspekte sind, auf die das (frühe) Elternsein gerade nicht einzahlt. Bei der eudaimonischen Achse geht es um längerfristige, tiefere Gesichtspunkte des Lebens: Sinn, Wachstum, Verantwortung, das Geben und das Wir: die tiefe(re) Freude. Ich vermute (ohne dass ich dies mit Daten belegen kann), dass Eltern hier in der langfristigen Perspektive die Nase vorne haben gegenüber kinderlosen Paaren.

Mutter oder Vater zu sein macht nicht immer Spaß – das weiß ich aus eigener Erfahrung. Vielleicht ist es sogar der härteste Job der Welt (wie es in dem abschließenden Video kolportiert wird)? Doch ich weiß ebenso aus eigener Erfahrung: Es lohnt sich allemal…

Nur (keine) Panik!

mika_verletztIn der Rückschau kann ich sagen, dass meine Frau und ich bisher Glück hatten mit unserem Sohn. Er ist kerngesund, relativ pflegeleicht und ein aufgewecktes Kerlchen. In der ganzen Zeit waren wir nur einmal im Krankenhaus, weil ein kleiner Schnitt genäht werden musste. Da habe ich bei befreundeten Paaren ganz andere Geschichten mitbekommen. Und trotzdem…

Was einem vor dem Kinderkriegen keiner anständig erklärt (weil vermutlich sinnlos), ist das schiere Ausmaß an Verantwortung, welches man übernimmt, wenn man beginnt, ein Kind großzuziehen. Ich empfinde es ja schon eine Zumutung, für mich selbst verantwortlich zu zeichnen, weil ich so heilloser Kindskopf bin. Und auf einmal ist da ein absolut schutzloses Wesen, was dir auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Mit dieser Verantwortung kommt Sorge. Mit der Sorge kommt Angst. Mit der Angst kommt manchmal: Hilflosigkeit.

Wir hatten für Sohnemanns Geburt im Krankenhaus ein Familienzimmer gebucht, ich übernachtete dort in den ersten Tagen gemeinsam mit meiner jungen Familie. In der zweiten Nacht hatte Mika aus heiterem Himmel einen längeren Atemaussetzer, ich vermute, so etwa 15 bis 20 Sekunden. Völlig harmlos und durchaus normal – aber was weiß man schon nach 36 Stunden mit einem Neugeborenen. In Büchern und Newslettern wird heutzutage sehr eindringlich vor den Risiken des frühen Kindstodes gewarnt. Von daher schrillten bei uns in jenem Moment alle Alarmglocken.

Was ich in diesem Moment spürte, möchte ich niemals wieder empfinden. Es fühlt sich an, als würde einem bei lebendigem Leib das Herz herausgerissen – und anschließend mit einer glühenden Nadel wieder eingenäht. Gottseidank ist das bislang nicht wieder vorgekommen.

Doch auch ohne besondere Vorkommnisse schleicht sie die Angst ab und an von hinten heran; es vergehen nur wenige Tage, an denen sie nicht vorbeischaut. Nicht, wenn Sohnemann im Garten von der Mauer auf die die gepflasterte Auffahrt fällt – oder sich mit dem Laufrad langmacht (siehe Foto), das kann ich gut ab: Wunde säubern, Pflaster drauf, ein bisschen kuscheln – und der Drops ist gelutscht.*

Schlimmer ist: ich bin beruflich viel unterwegs, häufig weltweit. Eben noch ist alles gut. Plötzlich ist er da. Der Gedanke, dem Kind könne etwas zugestoßen sein, oder der Mutter, oder beiden. Er kommt einfach, ich kann nichts dagegen tun. Und dann reißt es wieder an meinem Herzen, aber nur einen kurzen Moment.

Das ist der Preis, den wir für wahre Liebe bezahlen: Wir werden unendlich verwundbar. Er ist es wert.

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* Mittlerweile ist Sohnemann ein knallharter Hund. Neulich hat sich der Krümel im Zoo auf die Nase gelegt.

Ich: „Soll ich pusten?“
Sohn: „Nein.“
Ich: „Soll ich „Heile Gänschen“ singen?“
Sohn: „Ne. Singen nur, wenn es blutet…“