Der erste Regen

Mika_WieseAuch wenn ich gerne ich bin (und auch mit keiner meiner früheren Versionen tauschen wollen würde…), beneide ich Sohnemann ab und zu. Er darf ungestraft beim Essen rumsauen, auf Befehl mit meiner Frau kuscheln und hat überhaupt ein ziemlich geiles Leben. Mir geht es aber um etwas anderes:

Je älter man wird, desto weniger oft kann man Dinge zum allerallerersten Mal machen. Natürlich gäbe es noch viele, viele Orte auf der Welt, die ich nicht gesehen, und ebenso viele Sachen, die ich noch nicht (aus)probiert habe. Mir wird also nicht langweilig werden.

Aber wenn man stramm auf die vierzig zugeht, hat man in der Regel doch schon sehr viele erste Male hinter sich gebracht. Ich spreche hier (auch) von ganz alltäglichen Dingen: Es gibt nur einen ersten Kuss, ein erstes Mal Star Wars gucken, eine erste Pizza.

Als erwachsener Mensch sagt man hier viel zu leicht „Been there, done that.“ Dadurch verliert das Leben einen Teil seiner Magie. In der Philosophie des Zen spricht man vom Anfängergeist, den es zu kultivieren gelte. Man solle versuchen, seine vorgefertigten Vorstellungen und Urteile zurückzustellen. Ähnliche Vorstellungen finden sich in der Bibel: „Wahrlich ich sage euch: Es sei denn, dass ihr umkehret und werdet wie die Kinder, so werdet ihr nicht ins Himmelreich kommen.“

Für Kinder ist die Welt noch voller Wunder. Im September 2014 Mika seinen allerersten warmen Sommerregen erleben dürfen. Es war ein heißer Spätsommertag und wir hatten ein Planschbecken auf die Terrasse gestellt, um Sohnemann etwas Abkühlung zu verschaffen. Zum späten Nachmittag hin zog es sich zu, eine halbe Stunde später setze ein wunderschöner kräftiger Regenschauer ein.

Wir hatten uns ins Wohnzimmer zurückgezogen, ermutigten Mika allerdings, wieder hinauszugehen. Etwas ängstlich, streckte er zunächst nur einen Fuß in den Regenstrom, um ihn unter vergnügtem Quieken schneller wieder zurückzuziehen. Dies wiederholte sich einige Male. Schließlich fasste er sich ein Herz und rannte hinaus auf die Terrasse. Er reckte den Kopf gen Himmel und breitete seine Arme aus, lies die Regentropfen auf seinen ganzen Körper niederprasseln. Nach einigen Sekunden kam er aufgeregt zurück ins Wohnzimmer und suchte vergeblich nach Worten, um dieses wahrlich außergewöhnliches Erlebnis zu beschreiben – nur um einige Sekunden später wieder nach draußen zu stürmen.

Ich überlege gerade, wie häufig ich mich seit der Kindheit noch so über Regen freuen konnte. Komme auf ungefähr dreimal. Eigentlich schade…