„Du musst das Glas gerade halten. Nein, gerade. Ja. Nein. Schatz, bringst Du mal einen Lappen?“

Wenn ich die Boulevard-Presse richtig deute, hat der Comedian Atze Schröder im richtigen Leben keine Kinder. Hätte er welche, würde er vermutlich einen seiner berühmtesten Sketche aus Mitleid aus dem Programm nehmen. Es gibt da diese Nummer, wo er eine Mutter aufs Korn nimmt, die mit viel Geduld, aber wenig Durchsetzungskraft versucht, ihren Sohnemann vom Spielplatz weg und nachhause zu bewegen:

Cedric, die Mama geht nachhause. Cedric, die Mama geht nachhause. Cedric, die Mama ist weg. Die kommt auch nicht mehr wieder…

Wenn man allerdings von roher Gewalt als Erziehungsmethode absieht, ist das eine Forms des „Dialogs“, den man als Elternteil eines Dreijährigen sehr regelmäßig zu führen hat. Es ist wirklich bewundernswert, wie gut so ein Dreikäsehoch in der Trotzphase nicht zuhören kann. Dagegen sind die Politiker, die sich regelmäßig bei Maischberger nicht zuhören, so aufmerksam wie ein klientenzentrierter Therapeut.

Es ist ein bisschen peinlich und hochgradig unwürdig, wie häufig man als Elternteil das Wörtchen „Nein“ benutzen muss. Da hat man die besten Vorsätze der Welt, will zugewandt und bejahend, fördernd und bestärkend sein – und urplötzlich ist man hauptberuflich damit beschäftigt, den Nachwuchs davon abzuhalten, sich siebzehn Mal pro Tag auf unglaublich kreative Weise das junge Leben zu nehmen, so als könne er es einfach nicht abwarten, den Darwin Award* zu gewinnen.

Es gibt allerdings noch viele weitere Formen des Gesprächs, die man gefühlte dreihundert Mal durchhaben muss, bis die Krümel die darin enthaltenen liebevollen Botschaften ausreichend verinnerlicht haben:

Du musst das Glas gerade halten, Mika. So. Nein, gerade. Ja. Nein. Schatz, bringst Du mal einen Lappen? Nein, Mika, nimm bitte beide Hände. Beeiiide! Schatz, bring am besten die ganze Küchenrolle…

Krümel, ich versteh ja, dass du jetzt gerade eine Eisenbahn bist und nur geradeaus gehen kannst. Aber du kannst doch nicht einfach die ganzen Leute hier im Einkaufscenter umrennen. Na-hein, kannst du nicht. Wieso nicht? Na, das ist unhöflich. Du möchtest ja auch nicht umgerannt werden. Möchtest du doch? Ja ne, is klar. Anhalten. Anhaaaalten. Stopp! Nein, der Mann ist nicht gemein, er ist einfach nur weitergegangen. Ja klar kann ich pusten…

Vorsicht, die Nudeln sind noch heiß. Ja, richtig heiß. Alles gut, das tut gleich nicht mehr weh. Hier, trink schnell was. Ich hab´ dir doch gesagt, dass das wehtut. Nein! Du musst warten und am besten ein bisschen pusten. Nein, noch mehr. Haha, ja das sieht lustig aus, die Tomatensauce bei Papa im Gesicht. Ich meinte länger pusten, nicht fester. Was? Ja, die anderen Nudeln sind auch heiß…

Lieber Atze, ich leih Dir Sohnemann gerne für einen Tag. Und dann sprechen wir nochmal.


*Das ist ein Award, der jährlich posthum an Menschen vergeben wird, die sich auf besonders unwahrscheinliche oder dumme Weise unabsichtlich umgebracht haben.

Spielen, ohne die Regeln zu kennen

Mika_20Seit Neustem bin ich regelmäßig ein Flugzeug. Und eine Eisenbahn. Außerdem eine Schranke und ein Pinguin. Nicht, dass Sohnemann nicht auch gerne mit Spielzeugautos und ähnlichen Dingen spielt – aber am liebsten ist ihm gegenwärtig doch das imaginäre Spiel.

Seitdem das so ist, kann ich kaum mehr normal durch die Fußgängerzone unserer Stadt gehen. 90% der Zeit bin ich eine Dampflok. Stampfe vorwärts, die Arme angewinkelt und mache schscht…schscht…schscht. Hunderte Meter am Stück. An die verwunderten Blicke der Passanten habe ich mich gewöhnt, manche lächeln auch – aber naturgemäß erst, nachdem sie erkannt haben, dass ich ein Kind in Schlepptau habe. Die Leute, die das nicht kapieren, lächeln vermutlich mitleidig und fragen sich, ob sie die Männer mit den Hab-mich-lieb-Jacken rufen sollten.

Alles kein Problem. Etwas schwieriger finde ich, dass ich notgedrungen dauernd Spiele spiele, deren Regeln ich nicht kenne, weil sie, sofern es überhaupt welche gibt, von Sohnemann jeweils im Moment erfunden werden. Seit ein paar Tagen bin ich beispielweise regelmäßig ein Pinguin, der gefüttert werden muss – von einem Tiger. Allerdings mag dieser Pinguin nur Lachs, aber auf keinen Fall Thunfisch. Tiger-Sohnemann schmeißt mir also fleißig imaginäre Fischhäppchen zu und ich muss dann spontan entscheiden, ob es Thunfisch oder doch Lachs war. Wenn es Lachs war, habe ich mir zufrieden über den Bauch zu streicheln, wenn der Tiger aber Thunfisch dazwischen geschmuggelt hat, habe ich angewidert mit dem Kopf zu schütteln. In jenem Fall lacht er sich scheckig, weil Tiger-Mika den Pinguin-Papa ausgetrickst hat – schon wieder.

Ich habe vor ein paar Jahren mal einige Seminare im Bereich Improvisationstheater absolviert. Diese Erfahrung hilft mir ungemein mit diesem Teil des Umgangs mit Sohnemann. Für Impro-Schauspieler gelten ein paar übergreifende Regeln, die sich über die Jahre als sehr nützlich herausgestellt haben, wenn man ein Stück aufführen soll, was erst gerade im Moment, ohne Skript, entsteht:

Ein Leitgedanke lautet beispielsweise: Scheitern ist sexy! Das heißt, wer etwas verbockt, sich verhaspelt, aus der Rolle fällt, der bekommt von seinen Mitspielern und dem Publikum bisweilen einen tosenden Applaus. Alleine für diese Erfahrung sollte jeder Mensch aus meiner Sicht einmal einen solchen Kurs absolviert haben. Wer das deutsche Bildungssystem mit 13 Jahren Schule, fünf Jahren Studium und vier Jahren Promotion durchlaufen hat (wie in meinem Fall) – und daher arg darauf getrimmt ist, möglichst immer alles richtig zu machen – dem tut es sichtlich gut, „Liebe“ zu erhalten, gerade weil etwas nicht geklappt hat. Zusätzlich glaube ich, dass es eine tolle Übung ist für den Umgang mit kleinen Kindern. Mir jedenfalls kommt Erziehung an vielen Tage wie ein liebevolles „sich nach vorne Scheitern“ vor.

Eine weitere Impro-Regel lautet: Sag immer ja, nimm die Angebote an, die dir gegeben werden! Wenn zwei oder mehr Menschen eine Szene aufführen, ohne ein gemeinsames Skript zu haben, dann ist es notwendig, dass am Anfang jemand definiert, „wat Sache“ ist. Einer der Spieler muss also durch einen Eröffnungssequenz definieren, wo die Szene spielt, wer welche Rolle hat oder auch wie die verschiedenen Protagonisten zueinander stehen. Ohne diese Ausrichtung würden mit großer Wahrscheinlichkeit alle nebeneinanderher spielen, weil jeder „in seinem Film unterwegs“ wäre. Da Schlimmste, was ein weiterer Spieler an dieser Stelle machen kann, ist nein zu sagen und das Angebot umzudeuten („Nein, ich bin kein x, sondern ein y…“). Die Dynamik der gerade erst angelaufenen Szene wäre in dem Moment dahin, alle müssten bei null anfangen. Auch dieser Gedanke hilft mir sehr beim Umgang mit meinem Sohn. Wir beginnen zu spielen, er bestimmt die Regeln, teilt sie mir aber nicht (explizit) mit. Vor diesem Hintergrund habe ich es mir auch hier zur Gewohnheit gemacht, möglichst immer ja zu sagen – selbst, wenn ich damit vor anderen Menschen zum Affen mache.

Es gibt noch eine gute Handvoll weiterer Impro-Regeln, doch ich möchte an dieser Stelle nur noch auf eine eingehen, weil sie besonders kontraintuitiv anmutet: Sei langweilig (bzw. durchschnittlich)! Wenn Menschen zum ersten Mal einen Impro-Kurs machen, haben viele das Bedürfnis, besonders komisch sein zu wollen. Sie erfinden abstruse Szenenwechsel, außergewöhnliche Antworten auf gewöhnliche Fragen und überzeichnen ihre Rolle ganz allgemein in puncto Sprache und Verhalten. Den meisten Neulingen wird allerdings schnell das Folgende klar: Zum einen ist es sehr anstrengend, die ganze Zeit außergewöhnlich sein zu wollen (zumindest deutlich anstrengender, als normal zu sein); und zum anderen ist ein solcher Habitus zumeist auch spürbar weniger unterhaltsam, weil die Mitspieler wie auch die Zuschauer nur schwer folgen können. Die Komik des Impro entwickelt sich zum typischerweise aus ganz alltäglichen Szenen, simplen Gesten, kleinen Schrulligkeiten. Das Kleine ist das Komische – nicht das Laute. Wem der Vergleich helfen mag: Denken Sie an die Stücke Loriots, die meist nur aus etwas abseitigen Alltagsbeobachtungen bestehen – im Vergleich zu den lauten, überzeichneten Geschichten eines Mario Barth. Auch dieser Leitgedanke entspannt mich ganz wunderbar während des Spiels mit meinem Sohn. Ich muss mir keine spannenden Geschichten ausdenken. Es reicht völlig, wenn ich ein Lachs liebender, sprechender Pinguin bin, gerne auch mal 14 Tage am Stück. Dann lacht er sich scheckig über Papa.

Herz, was begehrst du mehr…

Warte mal, bis er laufen kann – oder: Fronkreisch, Fronkreisch

Mika_turntEs gibt da eine Sache am Papa-sein, die ich bedenklich bis ausnehmend ärgerlich finde. Es scheint unter manchen Männern das Vorurteil zu herrschen, dass man(n) mit Kindern erst etwas anfangen kann, wenn sie „etwas können“. Jedenfalls bekommt man das regelmäßig untergeschoben. Da fallen dann Sätze wie: „Warte mal, bis er drei oder vier ist, dann kannst du ihm das Fahrradfahren beibringen.“

Das mag ja richtig sein, aber zwischen den Zeilen schwingt da bisweilen etwas mit, was für mich das Folgende zum Ausdruck bringt: „Du als Vater bis erst mal nicht so wichtig.“ Doch nichts könnte weiter von der Wahrheit entfernt sein. Natürlich ist eine Mutter, gerade in den ersten Lebensmonaten, der wichtigste Bezugspunkt. Sie hat auch neun Monate Vorsprung an Bindung. Aber das heißt doch nicht, dass der Vater deswegen unwichtig ist.

Fakt ist natürlich: So ein Neugeborenes tut erst mal nicht viel außer trinken, schreien, pupsen, schlafen, gelegentlich ein Bäuerchen machen und zwischendurch ein bisschen in der Gegend rumgucken. Wenn man nicht genau hinguckt. Das heißt doch aber nicht, dass sie nichts mitbekommen.

Denn es passiert so viel mehr. Es passiert in den Augen, die sich zu- und abwenden. Es passiert in den Lippen, die sich kräuseln und öffnen und wieder schließen. Es passiert in den kleinen Fingerchen, die tasten und fühlen, halten und wieder loslassen. Hier sind Töne, da ist ein Duft, und die Wärme, wenn man auf der Brust liegt von diesen großen Mama- und Papa-Menschen.

Fakt ist natürlich auch: An so einem Teil ist keine Bedienungsanleitung dran. Das mit dem essen, pupsen und schlafen ist relativ einfach zu verstehen. Aber was ist mit der Zeit dazwischen?

Im Grunde ist man wie die Ratte im Käfig, die darauf wartet, dass die Person mit dem Kittel einem ein Leckerchen gibt, wenn man zufällig was richtig gemacht hat.

Da gilt es zu improvisieren – oder, auf gut Deutsch – sich zum Affen zu machen. Für mich (und sicherlich auch für meine Frau) waren die ersten Monate ein einziges großes Experiment, Versuch und Irrtum bis zum Abwinken. Im Grunde ist man ein bisschen wie die Ratte im Käfig, die darauf wartet, dass die Person mit dem Kittel einem ein Leckerchen gibt, wenn man zufällig was richtig gemacht hat. Und dann macht man eben mehr davon.

Ich erinnere mich, dass ich um Mikas fünften Lebensmonat mal drei Wochen ausschließlich mit einem gefakten französischen Akzent mit ihm gesprochen habe (à la „Fronkreisch, Fronkreisch“ von den Bläck Fööss). Einfach, weil der Kleine sich jedes Mal scheckig gelacht hat. Etwa zur selben Zeit hat meine Frau mindestens fünfzig Mal am Tag die Frage „Wo ist der dicke Bär?“ wiederholt, wobei das Wort Bär eher wie „Böar“ ausgesprochen und sehr lang gezogen werden musste (Wo ist der dicke Böööääääär?) – sonst wirkte es nicht.

Und irgendwann war´s dann vorbei. Hat nicht mehr gewirkt. Dann probiert man eben etwas Neues. Es kommt immer etwas Neues, so lange man nur weiter bereit ist, sich zum Affen zu machen und sehr genau hinzugucken, welches Feedback von dem kleinen Persönchen kommt.

Natürlich hätte ich warten können, bis ich ihm das Fahrradfahren beibringen kann. Ich hätte mich raushalten, die traditionelle Männerrolle annehmen können. Aber das wäre irrsinnig dumm und verschenkte Zeit gewesen. Die bekommt man nicht mehr zurück.

Digital dement im Kindergarten?

Ginge es nach dem Hirnforscher Manfred Spitzer, so müsste Sohnemann mittlerweile grenzdebil sein. Er spielt nämlich seit rund zwei Jahren regelmäßig mit Mamas und Papas Smartphone. Professor Spitzer möchte am liebsten alles Digitale von Kinderhänden fernhalten, weil der Gebrauch von Handys und Tablets sie dick und doof mache.

In den Augen des Psychiaters ist Mika prädestiniert für ein Leben als Schwachmat, Online-Junkie und bildungsferner Prolet ohne jegliche Zukunftsaussichten. Klingt vielleicht ein bisschen übertrieben, aber ein ähnlich düsteres Bild zeichnet der mehrfach promovierte Sachbuchautor in seinem Werk „Digitale Demenz“.

Ich halte das übrigens für riesengroßen Quatsch – und bin beileibe nicht alleine mit dieser Einschätzung. Die Zeitschrift „Gehirn & Geist“ kommt im Herbst 2015 in einem Übersichtsartikel zu dem Thema zu folgendem Schluss:

Weder ist belegt, dass die Nutzung digitaler Medien einsam macht, noch dass sie Strukturen im Gehirn schädigt.

Auch führende Leitmedien wie die Süddeutsche kommen in ihren Buchbesprechungen zu dem Schluss, dass das Buch einseitig und populistisch argumentiere.

Selbstverständlich würde es sich wohl nachteilig auswirken, wenn ein Kind oder Teenager den größten Teil der wachen Zeit mit entsprechenden Geräten verbringt – aber ich verstehe beileibe nicht, was eine Viertelstunde digitales Spielen am Tag für einen Schaden anrichten sollte. Wohlgemerkt: Wir spielen ja trotzdem mit Lego und der Eisenbahn, gehen in den Zoo, jagen uns gegenseitig durch die Bude und hüpfen auf dem Trampolin, bis der Arzt kommt.

https://m.youtube.com/watch?v=YOO5-HyICJ0

Schon Paracelsus bemerkte: „Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne Gift. Allein die Dosis macht, dass ein Ding kein Gift ist.“ Hier in Westfalen sagt man: „Wenn der Bauer nicht schwimmen kann, liegt´s an der Badehose.“ Und der Amerikaner weiß: “A Fool with a Tool is still a Fool” (Ein Narr mit einem Werkzeug ist immer noch ein Narr). Digitale Medien sind ein Werkzeug. Ob sie schaden oder nützen, liegt vorrangig am Nutzer, nicht am Ding an sich.

Es gibt zum Beispiel wunderschöne Handyspiele auf der Basis von Lego Duplo, meine Frau hat davon einige auf ihrem Handy. Ich persönlich bin auch ein großer Fan der Apps aus der Berliner Kinderspieleschmiede Fox & Sheep. Mika kann dort Bauarbeiter sein, einen Bauernhof bewirtschaften, oder Lieder nachsingen und sich selbst dabei aufnehmen. Während er das tut, schult er seine Augen-Hand-Koordination, seine Konzentration, die Merkfähigkeit und lernt etwas über physikalische Zusammenhänge – oder eben einfach singen. Wie das unserem Sohnemann schaden soll, bleibt mir schleierhaft.

Am meisten Playtime bekommt er übrigens, wenn wir ins Restaurant gehen. Es ist ein echter Segen, dass Mika sich zwischendurch einfach mal 15 Minuten still mit sich selbst beschäftigen kann, ohne das ganze Restaurant auseinanderzunehmen. Früher hätten die Kellner vielleicht ein Malbuch gebracht, doch auch dafür gibt es Apps auf dem Handy. Wir leben im Internetzeitalter – und so uns nicht der Strom ausgeht, wird das auch nicht mehr weggehen.

Von daher werde ich darauf hinwirken, dass mein Nachwuchs digital potent anstatt digitaler Analphabet wird.