„Du musst das Glas gerade halten. Nein, gerade. Ja. Nein. Schatz, bringst Du mal einen Lappen?“

Wenn ich die Boulevard-Presse richtig deute, hat der Comedian Atze Schröder im richtigen Leben keine Kinder. Hätte er welche, würde er vermutlich einen seiner berühmtesten Sketche aus Mitleid aus dem Programm nehmen. Es gibt da diese Nummer, wo er eine Mutter aufs Korn nimmt, die mit viel Geduld, aber wenig Durchsetzungskraft versucht, ihren Sohnemann vom Spielplatz weg und nachhause zu bewegen:

Cedric, die Mama geht nachhause. Cedric, die Mama geht nachhause. Cedric, die Mama ist weg. Die kommt auch nicht mehr wieder…

Wenn man allerdings von roher Gewalt als Erziehungsmethode absieht, ist das eine Forms des „Dialogs“, den man als Elternteil eines Dreijährigen sehr regelmäßig zu führen hat. Es ist wirklich bewundernswert, wie gut so ein Dreikäsehoch in der Trotzphase nicht zuhören kann. Dagegen sind die Politiker, die sich regelmäßig bei Maischberger nicht zuhören, so aufmerksam wie ein klientenzentrierter Therapeut.

Es ist ein bisschen peinlich und hochgradig unwürdig, wie häufig man als Elternteil das Wörtchen „Nein“ benutzen muss. Da hat man die besten Vorsätze der Welt, will zugewandt und bejahend, fördernd und bestärkend sein – und urplötzlich ist man hauptberuflich damit beschäftigt, den Nachwuchs davon abzuhalten, sich siebzehn Mal pro Tag auf unglaublich kreative Weise das junge Leben zu nehmen, so als könne er es einfach nicht abwarten, den Darwin Award* zu gewinnen.

Es gibt allerdings noch viele weitere Formen des Gesprächs, die man gefühlte dreihundert Mal durchhaben muss, bis die Krümel die darin enthaltenen liebevollen Botschaften ausreichend verinnerlicht haben:

Du musst das Glas gerade halten, Mika. So. Nein, gerade. Ja. Nein. Schatz, bringst Du mal einen Lappen? Nein, Mika, nimm bitte beide Hände. Beeiiide! Schatz, bring am besten die ganze Küchenrolle…

Krümel, ich versteh ja, dass du jetzt gerade eine Eisenbahn bist und nur geradeaus gehen kannst. Aber du kannst doch nicht einfach die ganzen Leute hier im Einkaufscenter umrennen. Na-hein, kannst du nicht. Wieso nicht? Na, das ist unhöflich. Du möchtest ja auch nicht umgerannt werden. Möchtest du doch? Ja ne, is klar. Anhalten. Anhaaaalten. Stopp! Nein, der Mann ist nicht gemein, er ist einfach nur weitergegangen. Ja klar kann ich pusten…

Vorsicht, die Nudeln sind noch heiß. Ja, richtig heiß. Alles gut, das tut gleich nicht mehr weh. Hier, trink schnell was. Ich hab´ dir doch gesagt, dass das wehtut. Nein! Du musst warten und am besten ein bisschen pusten. Nein, noch mehr. Haha, ja das sieht lustig aus, die Tomatensauce bei Papa im Gesicht. Ich meinte länger pusten, nicht fester. Was? Ja, die anderen Nudeln sind auch heiß…

Lieber Atze, ich leih Dir Sohnemann gerne für einen Tag. Und dann sprechen wir nochmal.


*Das ist ein Award, der jährlich posthum an Menschen vergeben wird, die sich auf besonders unwahrscheinliche oder dumme Weise unabsichtlich umgebracht haben.

Man muss auch teilen können…

sushiSohnemann ist gottseidank nicht sehr wählerisch in puncto Essen. Somit hat er auch früh im Leben eine Vorliebe für Sushi entdeckt. Leider gibt es in unserer Heimatstadt kein Sushi-Restaurant, so dass wir uns in der Regel mit dem Angebot bei „Nordsee“ zufriedengeben müssen. Aber besser als nichts. Meist gehen wir samstagmittags dorthin, nach dem Besuch des Wochenmarktes.

Ich verfalle immer wieder in ehrfürchtiges Staunen, wenn ich erfahren darf, wie ausgeprägt Mikas Gerechtigkeitssinn ist, schon jetzt, da er noch so jung ist. Er hat absolut kein Problem damit, das Essen zu teilen. Wir machen immer 50:50 Er bekommt der Fisch, ich den Reis…

 

Manchmal kann man bis in die Ewigkeit sehen

Im März 2015 sind wir umgezogen, raus aus unserer Mietwohnung, in ein über 80 Jahre altes Haus mit großem Garten. Eigentlich wollte ich nie ein Eigenheim. Das kam mir immer spießig vor. Ich habe auch kein eigenes Auto und gedenke nicht, in diesem Leben noch eines zu kaufen. Bestimmte Arten von Besitz empfand ich  immer eher als Belastung denn als Freiheit.

Die ersten beiden Besichtigungen des Hauses im Spätherbst 2014 hatte meine Frau mit Sohnemann alleine absolviert, ich kam erst beim dritten Mal dazu. Mika stürmte sofort los, durch den Flur, weiter durchs Esszimmer und raus in den großen, etwas verrohten Garten, wo er wild umhertollte. Während ich ihn so sah, änderte ich meine Meinung.

Dieses Haus, dieser Garten musste es sein. Vorher hatte ich bei dieser Entscheidung ganz vergessen, dass es hierbei ja gar nicht um mich ging. Nun sah ich einen Ort, wo meine Kinder groß werden würden. Das änderte alles.

Einige Monate nach dem Einzug, im Sommer 2015, saßen wir an einem Samstagmorgen im Esszimmer beim Frühstück. Das Radio lief und 1Live spielte Are You With Me von Lost Frequencies:

I wanna dance by water ’neath the Mexican sky
Drink some Margaritas by a string of blue lights
Listen to the Mariachi play at midnight
Are you with me, are you with me?

Plötzlich sprang meine Frau auf, ging einige Meter weiter und begann, zu dem Beat zu tanzen. Diese Gelegenheit ließ sich Sohnemann natürlich nicht entgehen. Er kletterte von seinem Kinderstuhl und stürmte zu ihr. Sie nahm ihn an beiden Händen und im nächsten Moment tanzten sie gemeinsam durch unser Wohnzimmer wie wilde Hummeln. Und sie lachten. Und hüpften. Sprangen immer ausgelassener.

Wir hatten während der Renovierung bodentiefe Fenster zum Garten hin einbauen lassen. In jenem Moment kam die Sonne hinter den Wolken hervor und tauchte meine Familie in dieses besondere Licht, jene schimmernden einzelnen Strahlen, von denen ich als Kind immer dachte, sie wären der liebe Gott.

Ich schaute den beiden weiter zu. Und weinte ein bisschen.

Was mein Sohn von Bruce Lee gelernt hat

mikaMein Vater war Lehrer. Er hat immer – wenn auch halb im Spaß – gesagt: Redundanz ist die Mutter der Pädagogik. Seit Sohnemann greifen, sitzen und krabbeln kann, weiß ich recht genau, was er damit gemeint hat.

Meine Frau hatte in einem Spielzeug-Tauschzirkel auf so einen gelben Schulbus ersteigert. Recht schnell hatte Sohnemann kapiert, dass man die Fahrertür öffnen und auch wieder schließen kann. Eine absolute Offenbarung. Dieses Prinzip muss natürlich erstmal verinnerlicht werden. Also übte er: Tür auf, Tür zu. Große Freude. Tür auf, Tür zu. Große Freude. Tür auf, Tür zu. Große Freude. Eine geschlagene Viertelstunde ging das so. Ich bin sicher, Mister Miyagi aus dem Film Karate Kid wäre sehr stolz auf ihn gewesen. Sohnemann hat es zu wahrer Meisterschaft im Türöffnen und -schließen gebracht.

Und auch ich war sehr stolz auf ihn. Während meiner Doktorandenzeit habe ich einige Jahre Jeet Kune Do trainiert, eine von Bruce Lee begründete Kampfkunst. Von ihm stammt auch das Zitat:

Ich fürchte nicht den Mann, der 10.000 Tritte einmal trainiert hat. Ich fürchte den, der einen Tritt 10.000 Mal trainiert hat.

Jetzt, mit etwas über drei Jahren, ist es im Grunde immer noch so. Ich habe in den letzten Wochen geschlagene 25 Mal den Film Cars 2 geguckt, unterbrochen nur durch kurze Intermezzi von Cars 1, sowie Planes 1 & 2. Die Nervtöter bei Disney wissen wirklich, was sie tun. Allerdings sollte ich mich nicht beschweren, denn meine Frau ist da vermutlich mittlerweile im dreistelligen Bereich angelangt. Und wer weiß, wofür es gut ist?

Mit dem Kleinkind im Restaurant? Die bösen Blicke muss man aushalten

Mika RestaurantMeine Frau und ich haben im Grunde wenig gemeinsame Hobbys, sind überhaupt ziemlich unterschiedlich, auf eine gute Art. Wir versuchen nicht, ständig am anderen rumzuschrauben, sondern akzeptieren uns so, wie wir sind. Klappt natürlich nicht immer, aber ich denke, wir sind ganz gut unterwegs. Was uns jedoch ein heiliges Ritual ist: Wir gehen sehr regelmäßig auswärts essen, haben unsere Handvoll Lieblingsrestaurants, in die wir immer und immer wieder gehen. Dann sprechen wir, oder schweigen wir, lassen es uns gut gehen, genießen.

Als klar wurde, dass wir bald Eltern sein würden, haben wir beschlossen, mit dieser Tradition gerade nicht zu brechen, sondern Junior immer und überall mit hinzunehmen. In den ersten drei Monaten ist das eh kein Problem. Da liegen die Krümel meist friedlich in einer Tragschale. Wenn es doch mal laut wird, gibt es eigentlich nur die Auswahl zwischen „Ich habe Mordshunger“ oder, ein wenig später „Ich habe ein Bäuerchen quersitzen“. Das lässt sich in der Regel schnell beheben.

Komplizierter wird es, wenn die Kids schon sitzen können und alleine essen wollen, die Feinmotorik aber noch der eines juvenilen Dobermanns auf Speed ähnelt. Mit Mika konnte es passieren, dass der Bereich rund um unseren Tisch in einem Areal von mehreren Quadratmetern ausschaute, wie das schnuckelige norddeutsche Örtchen Wacken, nachdem die jährlichen 75.000 Besucher des berühmt-berüchtigten Heavy Metal-Festivals wieder abgezogen sind. Außerdem kann ein gut gelaunter Einjähriger auch einen ähnlichen Lautstärkepegel erreichen, wenn er denn nur will (Anmerkung: meistens wollen sie…). Was tun, sprach Zeus?

Mein Antwort lautet: Einfach machen, trotz allem. Meine feste Überzeugung: Das müssen die anderen Gäste aushalten. Beziehungsweise: Wir müssen eben die bösen Blicke aushalten. Deutschland ist in vielen Bereichen leider ein nicht eben kinderfreundliches Land. Geht man beispielsweise in Italien essen, ist es völlig normal, dass der Nachwuchs auch bis spätabends dabei ist und tut, was Kinder eben tun: Laufen, lärmen, plämpern, spielen, lachen. Und wieder von vorne.

Ich jedenfalls verspüre wenig Lust, durch meinen „Beitrag zur Sicherung unseres Rentensystems“ für ein Jahrzehnt auf ein geregeltes Sozialleben zugunsten des kinderlosen Teils der Bevölkerung zu verzichten. Das statistische Bundesamt hat ausgerechnet, dass die Aufzucht eines Kindes bis zum 18. Lebensjahr rund 130.000 Euro kostet – und das sind nur die sogenannten Konsumausgaben. Nicht eingerechnet sind die „Arbeitsstunden“, der Gehalts- und Rentenverlust, welcher durch die Kinderbetreuung entsteht – und schon gar nicht die Beträge, die der Nachwuchs später in die sozialen Sicherungssysteme einzahlen wird, um die die Sozialleistungen für die Kinderlosen mitzufinanzieren. In diesem Sinne:

Liebe DINKs!* Wenn ihr euch beim Genuss eures Rucola-Salats durch meinen nicht ganz Knigge-konformen Sohnemann gestört fühlt: Es geht mir ehrlich gesagt am Arsch Gemüt vorbei. Lernt, mit dem Gebrüll und dem Dreck zu leben, ich schaffe auch jeden Tag. Das ist das Leben.

* Bevölkerungsgruppe “Double Income, No Kids”

Also das Allerschönste was Füße tun können ist: Tanzen

Mika_GitarreEs gibt ein interessantes Phänomen: Fragt man eine größere Gruppe Erwachsener, ob sie beispielsweise singen oder tanzen können, dann wird ein guter Teil dieser Menschen mit nein antworten. Bei Kindern (bis zum etwa siebten, achten Lebensjahr) ist das anders. Die überwiegende Mehrheit würde lauthals ja schreien und vermutlich auch gleich etwas zum Besten geben. Sohnemann ist ebenfalls ein großer Tänzer. Er beherrscht mittlerweile Breakdance, Flamenco, und ist außerdem ein beinharter Headbanger. Mit keiner seiner Darbietungen würde er beim Supertalent in den Recall kommen, aber darum geht es auch nicht. Er tut es einfach gerne – vermutlich, weil ich schon von Beginn an immer mit ihm im Arm geschwoft habe.

Ganz zu Anfang habe ich in nachts in meinem Armen gewiegt, wenn er nicht schlafen konnte und dazu „Don´t cry“ von Guns N´ Roses oder „Three little Birds“ von Bob Marley gesungen. Später haben wir dann Runde um Runde um unseren Esstisch gedreht, ganz gleich, ob zur Popmusik auf 1Live, den Kinderliedern der Giraffenaffen, oder zu „Ace of Spades“ von Motörhead – was eher meinem persönlichen Geschmack entspricht.*

Ich finde es wunderbar, wie Mika sich im Augenblick für jedwede Form von Musik begeistern kann. Wir waren schon mit ihm auf einem Punkkonzert und er hat Luftgitarre wie ein Weltmeister gespielt. Er liebt Kabellos, die mobile Unplugged-Band, welche regelmäßig auf unserem Wochenmarkt oder in der lokalen Shopping Mall Schlager und Oldies zum Besten gibt. Und auch die Indio-Bands, die in regelmäßigen abständigen in unserer Fußgängerzone „El cóndor pasa“ in Endlosschleife flöten, werden ausnahmslos von ihm mit einem Euro bedacht. Er ist da noch sehr eklektisch aufgestellt, obwohl ich insgeheim schon hoffe, dass aus ihm mal ein ordentlicher Rocker wird.

Eine unserer Tanzeinlagen hat sogar einen minimalen Grad an Berühmtheit erlangt. Ich habe durch meinen Beruf den hochtalentierten und durchweg sympathischen britischen Singer-Songwriter Jonathan Jeremiah kennengelernt, dessen Song „Gold Dust“ der geneigte Leser vielleicht durch Werbung für eDarling oder den Gedöns-Händler Rituals kennt. Im Spätsommer 2015 walzte ich mit Mika vorzugsweise zu den Klängen seines Songs „Smiling“ durch unser Wohnzimmer. Einmal zückte meine Frau ihr Handy und filmte uns. Nachdem ich Jonathan davon erzählt hatte, bat er mich, ihm den Clip zu schicken. Er postete ihn dann auf seinem Facebook-Profil und schrieb dazu: „It’s moments like these that make my career choice feel extremely worthwhile. XJJ“ Wenn Sie uns einmal zuschauen möchten, besuchen Sie bitte:

*Rock ´n´ Roll in Peace, Lemmy Kilmister. Am Tag, als ich dies aufschrieb, ist dieser einmalige Frontman gestorben.

Spielen, ohne die Regeln zu kennen

Mika_20Seit Neustem bin ich regelmäßig ein Flugzeug. Und eine Eisenbahn. Außerdem eine Schranke und ein Pinguin. Nicht, dass Sohnemann nicht auch gerne mit Spielzeugautos und ähnlichen Dingen spielt – aber am liebsten ist ihm gegenwärtig doch das imaginäre Spiel.

Seitdem das so ist, kann ich kaum mehr normal durch die Fußgängerzone unserer Stadt gehen. 90% der Zeit bin ich eine Dampflok. Stampfe vorwärts, die Arme angewinkelt und mache schscht…schscht…schscht. Hunderte Meter am Stück. An die verwunderten Blicke der Passanten habe ich mich gewöhnt, manche lächeln auch – aber naturgemäß erst, nachdem sie erkannt haben, dass ich ein Kind in Schlepptau habe. Die Leute, die das nicht kapieren, lächeln vermutlich mitleidig und fragen sich, ob sie die Männer mit den Hab-mich-lieb-Jacken rufen sollten.

Alles kein Problem. Etwas schwieriger finde ich, dass ich notgedrungen dauernd Spiele spiele, deren Regeln ich nicht kenne, weil sie, sofern es überhaupt welche gibt, von Sohnemann jeweils im Moment erfunden werden. Seit ein paar Tagen bin ich beispielweise regelmäßig ein Pinguin, der gefüttert werden muss – von einem Tiger. Allerdings mag dieser Pinguin nur Lachs, aber auf keinen Fall Thunfisch. Tiger-Sohnemann schmeißt mir also fleißig imaginäre Fischhäppchen zu und ich muss dann spontan entscheiden, ob es Thunfisch oder doch Lachs war. Wenn es Lachs war, habe ich mir zufrieden über den Bauch zu streicheln, wenn der Tiger aber Thunfisch dazwischen geschmuggelt hat, habe ich angewidert mit dem Kopf zu schütteln. In jenem Fall lacht er sich scheckig, weil Tiger-Mika den Pinguin-Papa ausgetrickst hat – schon wieder.

Ich habe vor ein paar Jahren mal einige Seminare im Bereich Improvisationstheater absolviert. Diese Erfahrung hilft mir ungemein mit diesem Teil des Umgangs mit Sohnemann. Für Impro-Schauspieler gelten ein paar übergreifende Regeln, die sich über die Jahre als sehr nützlich herausgestellt haben, wenn man ein Stück aufführen soll, was erst gerade im Moment, ohne Skript, entsteht:

Ein Leitgedanke lautet beispielsweise: Scheitern ist sexy! Das heißt, wer etwas verbockt, sich verhaspelt, aus der Rolle fällt, der bekommt von seinen Mitspielern und dem Publikum bisweilen einen tosenden Applaus. Alleine für diese Erfahrung sollte jeder Mensch aus meiner Sicht einmal einen solchen Kurs absolviert haben. Wer das deutsche Bildungssystem mit 13 Jahren Schule, fünf Jahren Studium und vier Jahren Promotion durchlaufen hat (wie in meinem Fall) – und daher arg darauf getrimmt ist, möglichst immer alles richtig zu machen – dem tut es sichtlich gut, „Liebe“ zu erhalten, gerade weil etwas nicht geklappt hat. Zusätzlich glaube ich, dass es eine tolle Übung ist für den Umgang mit kleinen Kindern. Mir jedenfalls kommt Erziehung an vielen Tage wie ein liebevolles „sich nach vorne Scheitern“ vor.

Eine weitere Impro-Regel lautet: Sag immer ja, nimm die Angebote an, die dir gegeben werden! Wenn zwei oder mehr Menschen eine Szene aufführen, ohne ein gemeinsames Skript zu haben, dann ist es notwendig, dass am Anfang jemand definiert, „wat Sache“ ist. Einer der Spieler muss also durch einen Eröffnungssequenz definieren, wo die Szene spielt, wer welche Rolle hat oder auch wie die verschiedenen Protagonisten zueinander stehen. Ohne diese Ausrichtung würden mit großer Wahrscheinlichkeit alle nebeneinanderher spielen, weil jeder „in seinem Film unterwegs“ wäre. Da Schlimmste, was ein weiterer Spieler an dieser Stelle machen kann, ist nein zu sagen und das Angebot umzudeuten („Nein, ich bin kein x, sondern ein y…“). Die Dynamik der gerade erst angelaufenen Szene wäre in dem Moment dahin, alle müssten bei null anfangen. Auch dieser Gedanke hilft mir sehr beim Umgang mit meinem Sohn. Wir beginnen zu spielen, er bestimmt die Regeln, teilt sie mir aber nicht (explizit) mit. Vor diesem Hintergrund habe ich es mir auch hier zur Gewohnheit gemacht, möglichst immer ja zu sagen – selbst, wenn ich damit vor anderen Menschen zum Affen mache.

Es gibt noch eine gute Handvoll weiterer Impro-Regeln, doch ich möchte an dieser Stelle nur noch auf eine eingehen, weil sie besonders kontraintuitiv anmutet: Sei langweilig (bzw. durchschnittlich)! Wenn Menschen zum ersten Mal einen Impro-Kurs machen, haben viele das Bedürfnis, besonders komisch sein zu wollen. Sie erfinden abstruse Szenenwechsel, außergewöhnliche Antworten auf gewöhnliche Fragen und überzeichnen ihre Rolle ganz allgemein in puncto Sprache und Verhalten. Den meisten Neulingen wird allerdings schnell das Folgende klar: Zum einen ist es sehr anstrengend, die ganze Zeit außergewöhnlich sein zu wollen (zumindest deutlich anstrengender, als normal zu sein); und zum anderen ist ein solcher Habitus zumeist auch spürbar weniger unterhaltsam, weil die Mitspieler wie auch die Zuschauer nur schwer folgen können. Die Komik des Impro entwickelt sich zum typischerweise aus ganz alltäglichen Szenen, simplen Gesten, kleinen Schrulligkeiten. Das Kleine ist das Komische – nicht das Laute. Wem der Vergleich helfen mag: Denken Sie an die Stücke Loriots, die meist nur aus etwas abseitigen Alltagsbeobachtungen bestehen – im Vergleich zu den lauten, überzeichneten Geschichten eines Mario Barth. Auch dieser Leitgedanke entspannt mich ganz wunderbar während des Spiels mit meinem Sohn. Ich muss mir keine spannenden Geschichten ausdenken. Es reicht völlig, wenn ich ein Lachs liebender, sprechender Pinguin bin, gerne auch mal 14 Tage am Stück. Dann lacht er sich scheckig über Papa.

Herz, was begehrst du mehr…

Einhundert Prozent Zorn

Mika_EisSohnemann wütet! Hat ein paar Kullertränen in den Augen und ruft, gerade so laut, dass es auch meine Frau im Nebenzimmer verstehen kann: „Ich hab dich nicht mehr lieb. Und ich bin auch nicht mehr dein Freund!“ Nun, da Sohnemann über drei ist, sagt er diesen Satz manchmal mit einem schelmischen Grinsen. Er spielt dann mit mir, übt sich im Schauspiel.

Doch jetzt ist keiner von diesen Momenten. In diesem Augenblick meint er es bitter ernst. Wenn auch nur für wenige Minuten, bis der Rauch verflogen ist. Ich habe eben mit Nachdruck bekannt gegeben, dass es heute kein Eis mehr zum Nachtisch gibt, weil er das Essen, was meine Frau gekocht hatte, kaum angerührt hat. Wir haben das vorher so angekündigt – und ziehen das dann auch durch. Leider hat unsere vorausgegangene Warnung ihn recht wenig beeindruckt. Jetzt kreischt Sohnemann die ganze Bude zusammen, schmeißt sich auf den Boden, schimpft wie ein Rohrspatz.

Wenn es normal läuft im Leben, wird man ab und an mit der vollen Bandbreite und Intensität menschlicher Emotionen konfrontiert, im Geben wie im Nehmen. Ich wünsche zumindest jedem Menschen, dass er einmal hundert Prozent Liebe erleben darf, in beiden Richtungen. Und auch hundert Prozent Traurigkeit erscheint mit durchaus empfehlenswert, bedeutet es doch, dass man zuvor ebenso stark geliebt hat.

Vater zu sein, hat jedoch eine neue Erfahrung in mein Leben gebracht. Kleinkinder haben noch nicht die Fähigkeit, ihre Gefühle zu regulieren oder zu kanalisieren. Von ihnen bekommt man immer hundert Prozent Emotion. Liebe. Lachen. Leiden. Aber eben auch die volle Dröhnung Zorn und Wut. Hier muss ich gestehen: Das kannte ich so nicht – und musste auch erst lernen, damit umzugehen.

Im normalen Leben passiert das einfach so gut wie nie. Wut ist in der westlichen Welt zu sehr geächtet, als dass man ihr bei Erwachsenen in der freien Wildbahn begegnen könnte. Wer wütet, außer sich ist, hat die Kontrolle verloren, sich von den Gefühlen übermannen lassen. Das gilt tendenziell als unsexy. Sohnemann wiederum ist das ziemlich schnurz. Er wütet, was die Wut hergibt, lässt sich weder durch Worte, noch durch Taten besänftigen. Was tun, sprach Zeus?

Um der Wahrheit die Ehre zu geben: Ich weiß es auch noch nicht. Manchmal frage ich Mika, warum er so wütend ist. Zuweilen unterbricht er dann seine Tirade und sagt – vermutlich vollkommen der Wahrheit entsprechend: „Ich weiß auch nicht“. Gelegentlich ist es dann gut, häufig genug wird aber auch weiter gewütet. Er will dann meist auch niemanden in seiner Nähe haben. Ich versuche, das bestmöglich zu respektieren. Das ist zuhause natürlich leichter, als wenn man in der Öffentlichkeit unterwegs ist. Am Ende des Tages kann man eigentlich nur warten, bis der Sturm sich gelegt hat.

An dieser Stelle kann man in der freien Wildbahn denn auch ganz klar die (jungen) Eltern von den Menschen ohne eigenen Nachwuchs unterscheiden. Letztere gucken des Öfteren genervt, scheinen zu sagen: „Nun krieg doch endlich mal dein Kind in den Griff!“ Die Eltern lächeln meist nur milde und ein wenig konspirativ. „Das hatten wir heute auch schon dreimal“, steht dann in ihren Blicken geschrieben…

Heute ist Mamatag

Ina_Mika_MotorradSohnemann wacht morgens zwischen uns auf und kuschelt erstmal ausgiebig mit Mama. Als er zusammen mit ihr aufsteht, ums ins Bad zu gehen, ohne mich eines Blickes zu würdigen, necke ich ihn freundlich: „Sagst du mir guten Morgen?“ Er geht weiter und ruft von nebenan: „Is egal.“

Ich schmunzle. Ein wenig. Heute ist ein Mamatag. Das gibt es etwa einmal in der Woche. Auch, als ich abends von der Arbeit nachhause komme, werde ich kaum eines Blickes gewürdigt. Mit Müh und Not kann meine Frau Mika überreden, den Blick von seinem Spielzeug abzuwenden und mich zu begrüßen. Eine Umarmung, oder gar ein Willkommenskuss? Ist heute einfach nicht drin.

Ich habe mich daran gewöhnt, dass es diese Tage gibt. da beißt die Maus keinen Faden ab. Es wäre übertrieben zu sagen, dass ich an solchen Tagen nicht existiere. Aber ich bin dann einfach so überhaupt nicht wichtig. Kuscheln? Geht nur mit Mama, trösten ebenso. Desgleichen darf nur sie die letzten Nudeln von seinem Teller essen. Und wehe, es kommt der Vorschlag, ich könne ihn ja als Ausgleich ins Bett bringen. Dann ist Holland in Not – und unser Mieter oben merkt einmal mehr, wie dünn die Decke eigentlich ist.

Ich denke, solche Tage muss man als Papa einfach rausrechnen. Ich habe von befreundeten Vätern gehört, dass das „einfach so ist“. Zugegeben, es nicht immer leicht, diesen Umstand zu akzeptieren. Natürlich bin ich lieber der der Super-Papa, oder wenigstens ein halbwegs akzeptabler Spielkamerad. Ich möchte am liebsten immer eine aktive Rolle in seinem Leben spielen, zumal ich durch meine beruflichen Verpflichtungen sowieso deutlicher weniger Zeit mit ihm verbringen kann als meine Frau.

Ich habe über die Zeit gelernt, sein Verhalten an solchen Tagen nicht als Ablehnung zu definieren. An manchen Tagen ist ja auch das absolute Lieblingsspielzeug total out. Der kleine Wurm hat seine Bedürfnisse und er wird schon wissen, was ihm gut tut. Das muss ich einfach akzeptieren. Aber gefallen muss es mir nicht.

Nachtrag:

Diesen Text schrieb ich auf, als Sohnemann knapp drei Jahre alt war. Vor gut drei Wochen haben wir unser zweites Kind bekommen, eine Tochter. Ich bin schon gespannt wie ein Flitzebogen, ob wir hier vielleicht die gegenteilige Erfahrung machen werden. Befreundete Väter von Töchtern jedenfalls haben mir versichert, dass ich mich für die Zukunft wohl auf vollumfängliche Papatage freuen kann. Wobei das noch ein wenig dauert. Gegen Mamas Milch ist einfach kein Papakraut gewachsen…

Unser Sohn ist ein Arschloch!

Mika_FeuerDiesen Satz habe ich gerade zu meiner Frau gesagt. Und die hat verständnisvoll genickt. Um der Wahrheit zur Ehre zu gereichen; ich sagte: „Unser Sohn ist heute ein Arschloch.“ Es ist mir nicht einfach so rausgerutscht. Ich habe es so gemeint. Und denke nicht, dass das sonderlich gemein war.

Es gibt Tage, an denen verhalten sich Dreijährige wie ausgewachsene Psychopathen, das ist einfach so. Vermutlich, weil in der Nacht irgendwelche Synapsen entknotet und noch nicht wieder korrekt verdrahtet wurden. Mal schauen, wie ich Sohnemann dann während der Pubertät titulieren werde.

Wie ich darauf komme, dass mein Sohn heute ein Arschloch ist? Nun, es gibt tatsächlich wissenschaftliche Abhandlungen zu diesem Thema. Der amerikanische Philosoph Aaron James hat diesem diffizilen Sujet gar ein ganzes Buch gewidmet („Arschlöcher – eine Theorie“). In diesem liefert er auch eine ziemlich trennscharfe Beschreibung eines charakterlichen Arschlochs, um jene Gattung Mensch von Übeltätern leichterer und schwererer Natur abzugrenzen:

Ein Mensch gehört zur Gattung Arschloch, wenn, und nur wenn, er sich in Beziehungen zu anderen Menschen systematisch Freiheiten herausnimmt, die einem tief verwurzelten Anspruchsdenken entspringen, das ihn für die Einwände anderer unempfänglich macht. […] Ein Arschloch ist zum Beispiel jemand, der sich regelmäßig vordrängelt. Oder andere ständig unterbricht. Oder ständig die Spur wechselt. Oder andauernd auf die Fehler anderer hinweist. Jemand, der superempfindlich auf jede Kränkung reagiert, für die eigenen Grobheiten anderen gegenüber aber blind ist.

Also wenn Sie mich fragen, spricht der gute Mann da über meinen Sohn. Natürlich benimmt er sich nicht an allen Tagen so, aber es kommt eben regelmäßig vor.

Ich erinnere mich an meine Jugendzeit, konkret: an ein Interview in der Bravo mit Sebastian Bach, dem Sänger einer kurzzeitig sehr angesagt Hair-Metal Band namens Skid Row. Obwohl er täglich geschätzte acht Stunden mit Haare föhnen beschäftigt war, wirkte er gleichzeitig sehr darauf erpicht, als böser Bube wahrgenommen zu werden – ein bisschen so wie Sido bis vor ein paar Jahren, nur eben mit viel mehr Haaren.

In dem Interview sagte er sinngemäß (ich kriege es nicht mehr ganz auf die Kette, aber die wichtigen Fragmente sind tatsächlich Wortlaut): „Ich bin ein fieser Typ. Ich bin der, der bei dir zuhause reinkommt, auf den Teppich kotzt und deinen Hund anpinkelt.“ Ich glaube kaum, dass Sohnemann dieses Interview kennt. Trotzdem habe ich manchmal das Gefühl, er steht ab und morgens auf und beschließt: „Heute bin ich Sebastian Bach!“

An solchen Tagen leidet er an Taubheit im Endstadium (allerdings nur, wenn um Anweisungen der Eltern geht), lässt den sprichwörtlichen Elefanten im Porzellanladen im Vergleich wie einen Schweizer Uhrmacher aussehen und schreit wegen jeder noch so kleinen Kleinigkeit rum, als hätte man gerade vor seinen Augen sein Lieblingsstofftier geschreddert und anschließend verbrannt.

An dieser Stelle muss ich dann auch mal mit einem Vorurteil aufräumen. Es heißt manchmal, kleine Kindern könnten noch nicht zwischen Recht und Unrecht unterscheiden. Am Arsch! Das halte für kolossal falsch. Zumindest bezogen auf ihre kleine Welt erscheint es mir so, als wüssten sie ganz genau, „wat Sache“ ist. Ich sehe das an diesem etwas unterdrückten, aber doch klar erkennbaren diabolischen Grinsen, welches Mikas Gesicht an solchen Tagen ziert, wenn er auch die siebte Aufforderung, nun endlich seinen Schlafanzug anzuziehen, genüsslich missachtet. Jaja, ich weiß: Grenzen testen und so. Muss sein, gehört dazu. Versteh ich. Aber, alter Vatter, manchmal könnte ich ihn auf den Mond schießen.

Ich habe mir über die Zeit diese „bis drei zählen“-Nummer angewöhnt. Komme mir ein bisschen albern dabei vor, aber es wirkt als Ultima Ratio. Irgendwie hat Sohnemann gelernt: Wenn Papa das macht, ist der Spaß vorbei.

Ich fürchte mich allerdings vor dem Tag, an dem er mich fragen wird:

„Papa, was genau passiert eigentlich bei drei?“

Nachtrag

Nachdem das Stück bei Eltern.de auf Facebook geteilt wurde, haben sich manche Leser über meine Wortwahl echauffiert. Ich kann das einerseits nachvollziehen, denke aber auch, dass das in bestimmten Momenten einfach dem entspricht, was viele Menschen im Kopf haben. Wir sind alle keine Heiligen und ein bisschen fluchen zur rechten Zeit ist vermutlich sogar ganz hilfreich für die eigene Psychohyhiene. Dampf ablassen und dann es ist es auch wieder gut.

Darüber hinaus: Ich würde mein Kind niemals direkt so nennen – und ich denke auch nichtnichten, dass mein Kind ein A. ist. Doch ich fand die wissenschaftliche Definition, die ich im Text zitiere, einfach sehr treffend. Anders gesagt: Würde ein Erwachsener sich so verhalten, wie es die meisten Dreijährigen an vielen Tagen tun, dann hätte er/sie sich den Titel redlich verdient. Und trotzdem lieben wir sie über alles. Das ist das Wunder…