In der Rückschau kann ich sagen, dass meine Frau und ich bisher Glück hatten mit unserem Sohn. Er ist kerngesund, relativ pflegeleicht und ein aufgewecktes Kerlchen. In der ganzen Zeit waren wir nur einmal im Krankenhaus, weil ein kleiner Schnitt genäht werden musste. Da habe ich bei befreundeten Paaren ganz andere Geschichten mitbekommen. Und trotzdem…
Was einem vor dem Kinderkriegen keiner anständig erklärt (weil vermutlich sinnlos), ist das schiere Ausmaß an Verantwortung, welches man übernimmt, wenn man beginnt, ein Kind großzuziehen. Ich empfinde es ja schon eine Zumutung, für mich selbst verantwortlich zu zeichnen, weil ich so heilloser Kindskopf bin. Und auf einmal ist da ein absolut schutzloses Wesen, was dir auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist. Mit dieser Verantwortung kommt Sorge. Mit der Sorge kommt Angst. Mit der Angst kommt manchmal: Hilflosigkeit.
Wir hatten für Sohnemanns Geburt im Krankenhaus ein Familienzimmer gebucht, ich übernachtete dort in den ersten Tagen gemeinsam mit meiner jungen Familie. In der zweiten Nacht hatte Mika aus heiterem Himmel einen längeren Atemaussetzer, ich vermute, so etwa 15 bis 20 Sekunden. Völlig harmlos und durchaus normal – aber was weiß man schon nach 36 Stunden mit einem Neugeborenen. In Büchern und Newslettern wird heutzutage sehr eindringlich vor den Risiken des frühen Kindstodes gewarnt. Von daher schrillten bei uns in jenem Moment alle Alarmglocken.
Was ich in diesem Moment spürte, möchte ich niemals wieder empfinden. Es fühlt sich an, als würde einem bei lebendigem Leib das Herz herausgerissen – und anschließend mit einer glühenden Nadel wieder eingenäht. Gottseidank ist das bislang nicht wieder vorgekommen.
Doch auch ohne besondere Vorkommnisse schleicht sie die Angst ab und an von hinten heran; es vergehen nur wenige Tage, an denen sie nicht vorbeischaut. Nicht, wenn Sohnemann im Garten von der Mauer auf die die gepflasterte Auffahrt fällt – oder sich mit dem Laufrad langmacht (siehe Foto), das kann ich gut ab: Wunde säubern, Pflaster drauf, ein bisschen kuscheln – und der Drops ist gelutscht.*
Schlimmer ist: ich bin beruflich viel unterwegs, häufig weltweit. Eben noch ist alles gut. Plötzlich ist er da. Der Gedanke, dem Kind könne etwas zugestoßen sein, oder der Mutter, oder beiden. Er kommt einfach, ich kann nichts dagegen tun. Und dann reißt es wieder an meinem Herzen, aber nur einen kurzen Moment.
Das ist der Preis, den wir für wahre Liebe bezahlen: Wir werden unendlich verwundbar. Er ist es wert.
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* Mittlerweile ist Sohnemann ein knallharter Hund. Neulich hat sich der Krümel im Zoo auf die Nase gelegt.
Ich: „Soll ich pusten?“
Sohn: „Nein.“
Ich: „Soll ich „Heile Gänschen“ singen?“
Sohn: „Ne. Singen nur, wenn es blutet…“
Ich habe ein bisschen nah am Wasser gebaut für einen echten deutschen Mann, heule oft und gehe dafür auch nicht in den Keller. Anlässe gibt es ja genug, meistens Filme oder Musik. Gerade habe ich „Honig im Kopf“ gesehen, da musste ich weinen am Ende, als der von Dieter Hallervorden gespielte Opa Amandus an Alzheimer stirbt. Meistes kommen mir jedoch in den schönen Momenten die Tränen, zum Beispiel beim Kanon in D-Dur von Johann Pachelbel – aber höchstens jedes dritte Mal.
Eigentlich geht´s auf „Unter der Liebe“ um meinen Sohn
Als Mann war ich hauptsächlich stiller Begleiter. Ich habe meine Frau mit Wasser versorgt, ihre Hand gehalten, wenn sie es wollte – und ihr, vor allem in den letzten Stunden, im wahrsten Sinne des Wortes den Rücken gestärkt während der Presswehen. Aber wenn man ehrlich ist, kann man(n) nicht viel machen in dieser Situation. Man möchte helfen, mit anpacken, der Frau die Schmerzen nehmen – und ist doch im wahrsten Sinne des Wortes unfähig. Man(n) hat eine kleine Nebenrolle in einem archaischen, auf gewisse Weise brutalen Schauspiel.
Aber in gewisser Hinsicht bin ich auch schockiert ob dieser Erfahrung im Kreißsaal. Ich frage mich ernsthaft, warum die Natur das so eingerichtet hat, wozu ein so grundlegender und evolutionär bedeutender Vorgang mit derart vielen Schmerzen (und auch Gefahren) verbunden sein muss. Die physische Notwendigkeit ist mir sonnenklar, eher hinterfrage ich das auf einer metaphysischen Ebene.
Bei einem Kaiserschnitt sitzt man(n) im Operationssaal hinter einem großen grünen Tuch. Der Kopf der Frau guckt raus, als weitere bleibt dem Blick verborgen. Auf der anderen Seite wuselt eine gute Handvoll Menschen vergleichsweise hektisch herum, je nach Krankenkasse Chefärzte, Oberärzte, Ärzte, Assistenzärzte, angehende Ärzte und natürlich die Hebamme sowie einige OP-Schwestern. So war das auch bei uns.